Vergiftungen mit Ibuprofen sind aufgrund der weiten Verbreitung und freien Verkäuflichkeit häufig, aber zum großen Teil ungefährlich, da erst große Mengen schwere Symptome hervorrufen.
Pharmakologie
Der maximale Serumspiegel von Ibuprofen wird nach 1-2 Stunden erreicht und die Halbwertzeit liegt bei therapeutischer Dosierung bei etwa 2 Stunden.1,2 Diese Kinetik scheint selbst bei Vergiftungen mit großen Mengen Ibuprofen nicht deutlich verändert zu sein.3
Symptomatik
Die allermeisten Vergiftungen verlaufen ohne Beschwerden oder mit milden Magen-Darm-Symptomen wie Übelkeit und Erbrechen sowie Magenschmerzen, seltener auch einmal mit Diarrhoen. Eine milde ZNS-Depression mit Müdigkeit, Kopfschmerzen oder weniger häufig Sehstörungen zählt ebenfalls zu den häufigen leichten Beschwerden. Erst in sehr hohen Dosierungen kommt es dann, vermutlich durch Akkumulation von Propionsäure, zu schwerer metabolischer Azidose mit Schocksymptomatik, schwerer ZNS-Depression bis hin zum Koma, Krampfanfällen und seltener zum Nierenversagen. Die metabolische Azidose hält etwa für 24 bis teilweise 48 Stunden an, bevor es zu einer Erholung kommt.3–6
Risikoabschätzung
Bei Ibuprofen besteht eine schlechte Korrelation zwischen Symptomatik und aufgenommener Wirkstoffmenge.2 Dabei scheinen schwere Vergiftungen ab etwa 400 mg/kgKG möglich zu sein, wobei diese häufiger erst ab Mengen von mehr als 600 mg/kgKG, meist aber sogar deutlich mehr als 800 mg/kgKG auftreten.2,3,7
So erlitt beispielsweise ein 16 Monate altes Kleinkind nach der Aufnahme von 469 mg/kgKG Ibuprofen vier Stunden nach der Einnahme Apnoe-Phasen und verstarb im Verlauf an einer Aspirationspneumonie, aber ein 2,5 Jahre altes Kind mit Einnahme von 544 mg/kgKG Ibuprofen blieb ohne jegliche Symptome.3 Ein anderes Kind erlitt bei Einnahme von 600 mg/kgKG einen tonisch-klonischen Krampfanfall und im Verlauf eine metabolische Azidose.8
Todesfälle durch Ibuprofen Mono-Intoxikation sind eine Rarität. Wir konnten in der Literatur zwölf Todesfälle ausfindig machen.9,10 Bei 8 Fällen lag jedoch eine Mischintoxikation vor, so dass Todesfälle nach Mono-Intoxikation wirklich selten sind.9 Als Beispiel einer tödlichen Mono-Intoxikation sei der Fall einer 26-Jährigen Patientin genannt, die nach Einnahme von bis zu 105 g Ibuprofen (132 Tabletten à 800 mg) fünf Stunden nach Krankenhausaufnahme an Kreislaufversagen bei ausgeprägter metabolischer Azidose trotz aggressiver Volumen- und Katecholamintherapie verstarb.9 In einem anderen Fall konnte eine 17-Jährige Patientin mit Einnahme von maximal 200 g Ibuprofen (999 Tabletten à 200 mg) initial erfolgreich stabilisiert werden, verstarb jedoch nach neun Tagen mit schwerem Hirnödem und DIC.10
Die niedrigste tödliche Dosierung liegt bei 24 g im leider nicht genauer beschriebenen Fall der Vergiftung eines Erwachsenen.7
Insgesamt sind für tödliche Verläufe also wirklich große Tablettenmengen notwendig, schwere Verläufe kommen ab etwa 400 mg/kgKG vor und unter 100 mg/kgKG sind keine Symptome zu erwarten.3 Deshalb würden wir auch folgende Risikoeinteilung Mühlendahls unterstützen, auch wenn die Datenbasis in der Literatur mit wenigen hundert Fällen eng ist:11
- Aufnahme von < 150 mg/kg Ibuprofen: keine Therapie
- Aufnahme von 150-200 mg/kg: Aktivkohle in erster Stunde, keine weitere Überwachung
- Aufnahme >200 mg/kg: Kohle innerhalb der ersten Stunde und stationäre Überwachung für 4h bzw. bis zur Symptomfreiheit (Ergänzung von uns: Bei schwerer Symptomatik natürlich Aufnahme auf Intensivstation)
Therapie
Die Therapie der Vergiftungen mit Ibuprofen ist rein supportiv. Bei Einnahme von großen Mengen Ibuprofen, laut Mühlendahl zum Beispiel ab 150 mg/kg sollte beim wachen Patienten die Gabe von Aktivkohle erfolgen.11 Die stationäre Überwachung für 4 Stunden bzw. bis zur Symptomfreiheit sollte ab Mengen von 200 mg/kg erfolgen;11 an eine Intensivüberwachung sollte aus unserer Sicht bei Einnahme über 400 mg/kg gedacht werden, wenn die Patienten ausgeprägte Symptome entwickeln und sie erscheint bei Mengen über 600 mg/kg, wo schwere Symptome häufig und wahrscheinlich sind, generell sinnvoll.
Bei Schocksymptomatik steht die Volumen- und Katecholamingabe im Vordergrund, ebenso scheint bei schwersten Azidosen die Natriumbikarbonat-Gabe sinnvoll, um die Symptomatik beherrschen zu können.2 Auch eine VA-ECMO als ECLS-Verfahren wurde in einem Fall mit schwerer Hypotension erfolgreich eingesetzt.12 Eine Dialyse zur Giftelimination ist nicht sinnvoll, da zwar ein kleines Verteilungsvolumen von 0,1 l/kg besteht, aber Ibuprofen auch bei toxischen Dosen zu 99% an Albumin gebunden vorliegt.1,13
In den allermeisten Fällen sind jedoch nur milde Symptome zu erwarten. Hier gibt es leider keine Studien oder Fallserien zu prophylaktischen PPI-Gabe. Ein erhöhtes Risiko für GI-Blutungen scheint zwar nicht vorzuliegen, jedoch wird die prophylaktische Dosierung von PPI für zum Beispiel eine Woche in der Praxis oft angewendet.2,9
Zusammenfassung
- Vergiftungen mit Ibuprofen sind häufig und verursachen meist nur milde Magenbeschwerden und manchmal leichte neurologische Beschwerden
- Erst ab sehr großen Mengen (>400 mg/kg) kann es zu schweren Verläufen mit metabolischer Azidose, Hypotonie, passagerem Nierenversagen und Koma kommen, die Therapie bleibt hier symptomatisch und ist in den allermeisten Fällen erfolgreich
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Quellen
1. Bushra R, Aslam N. An Overview of Clinical Pharmacology of Ibuprofen. Oman Med J. 2010;25(3):155-1661.
2. Hunter LJ, Wood DM, Dargan PI. The patterns of toxicity and management of acute nonsteroidal anti-inflammatory drug (NSAID) overdose. Open Access Emerg Med. 2011;3:39-48.
3. Hall AH, Smolinske SC, Conrad FL, et al. Ibuprofen overdose: 126 cases. Annals of Emergency Medicine. 1986;15(11):1308-1313.
4. McElwee NE, Veltri JC, Bradford DC, Rollins DE. A prospective, population-based study of acute ibuprofen overdose: complications are rare and routine serum levels not warranted. Ann Emerg Med. 1990;19(6):657-662.
5. Levine M, Khurana A, Ruha A-M. Polyuria, Acidosis, and Coma Following Massive Ibuprofen Ingestion. J Med Toxicol. 2010;6(3):315-317.
6. Downie A, Ali A, Bell D. Severe metabolic acidosis complicating massive ibuprofen overdose. Postgraduate Medical Journal. 1993;69(813):575-577.
7. Hall AH, Smolinske SC, Kulig KW, Rumack BH. Ibuprofen Overdose—A Prospective Study. West J Med. 1988;148(6):653-656.
8. Öker EE, Hermann L, Baum CR, Fentzke KM, Sigg T, Leikin JB. Serious Toxicity in a Young Child Due to Ibuprofen. Academic Emergency Medicine. 2000;7(7):821-823.
9. Wood DM, Monaghan J, Streete P, Jones AL, Dargan PI. Fatality after deliberate ingestion of sustained-release ibuprofen: a case report. Critical Care. 2006;10(2):R44.
10. Holubek W, Stolbach A, Nurok S, Lopez O, Wetter A, Nelson L. A report of two deaths from massive ibuprofen ingestion. J Med Toxicol. 2007;3(2):52-55.
11. von Mühlendahl KE. Vergiftungen Im Kindesalter. 4th ed. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2003.
12. Marciniak KE, Thomas IH, Brogan TV, Roberts JS, Czaja A, Mazor SS. Massive ibuprofen overdose requiring extracorporeal membrane oxygenation for cardiovascular support: Pediatric Critical Care Medicine. 2007;8(2):180-182.
13. Antal E j., Wright III C e., Brown B l., Albert K s., Aman L c., Levin N w. The Influence of Hemodialysis on the Pharmacokinetics of Ibuprofen and Its Major Metabolites. The Journal of Clinical Pharmacology. 1986;26(3):184-190.