Sekundäre Vergiftung beim Personal

Im heutigen Artikel möchten wir euch ein spannendes Paper vorstellen, welches untersucht, wie häufig und gefährlich sekundäre Vergiftungen bei Notaufnahmepersonal durch mit Chemikalien vergiftete Patienten sind.

Nahezu jede Fortbildung zu präklinischem und klinischem Management von Vergiftungen beinhaltet einen Hinweis zum Eigenschutz. Fragt man aber erfahrene Kräfte in Rettungsdienst, Krankenhaus oder sogar Giftnotruf, so erinnert sich kann kaum jemand daran tatsächlich sekundäre Vergiftungen erlebt oder von einem konkreten Fall gehört zu haben.

Liegt das an der besonderen Vorsicht des Personals und dem dementsprechend guten Eigenschutz oder einfach daran, dass sekundäre Vergiftungen selten und vielleicht sogar klinisch irrelevant sind? Dieser spannenden Frage sind de Groot und Kollegen aus den Niederlanden in ihrem Artikel nachgegangen, in welchem sie die Literatur nach sekundären Vergiftungen bei Notaufnahmepersonal durchsucht haben.1

Potenziell denkbar sind dabei zwei Kontaminationswege des Personals: Bei wenigen Substanzen kann es durch Hautkontakt zur Vergiftung kommen, zum Beispiel, wenn Personal Hautkontakt mit kontaminierter Kleidung oder Haut des Patienten hat. Typische Beispiele wären hier Organophosphate (zum Beispiel E 605) oder auch ätzende Substanzen (besonders tückisch die Flusssäure, bei welcher der Kontakt ggf. zunächst nicht bemerkt wird). Die andere denkbare Form einer Exposition ist die Inhalation reizender oder giftiger Substanzen, die der Patient ausatmet, oder die von ihm verdunsten oder verdampfen. Denkbar ist hier zum Beispiel die Inhalation von Cyanwasserstoff (HCN), welcher sich nach Verschlucken von Cyanid-Salzen im Magen des Patienten bilden kann.

In der Literatur fanden de Groot und Kollegen nur sehr wenige Berichte zu sekundären Vergiftungen durch Hautkontakt. In den wenigen beschriebenen Fällen (n<20) kam es nur zu leichten Symptomen wie Haut- und (und durch zusätzliche Inhalation dann auch) Atemwegsreizungen durch Kontakt zu ätzenden Substanzen. Zum effektiven Eigenschutz reicht nach Ansicht der Autoren fast immer das Tragen der üblichen wasserdichten Schürzen und medizinischen Handschuhe aus. Sollte es doch einmal zum Hautkontakt beim Personal kommen, wird das Abwaschen mit Wasser und Seife geraten.

Lediglich in einem Fall einer gemischt (ungeschützt) dermalen und inhalativen Exposition zu einem Organophosphat in Erbrochenem des Patienten wird eine schwere Vergiftung einer Krankenschwester beschrieben, die ausgeprägte Schweißausbrüche erlitt, erbrach und Luftnot bekam. Sie musste intubiert und 24 Stunden lang invasiv beatmet sowie sieben Tage mit Atropin behandelt werden. Interessanterweise ist dies auch der einzige dokumentierte schwere sekundäre Vergiftungsfall und dieser wird in der Literatur heftig diskutiert. Denn im asiatischen Raum, wo Vergiftungen durch Organophosphate noch sehr häufig auftreten, werden solche schweren sekundären Vergiftungen beim Personal nicht beobachtet und das Personal wendet zum Teil nicht einmal besondere Schutzmaßnahmen an. Deshalb wird oft bezweifelt, dass im berichteten Fall wirklich eine sekundäre Vergiftung vorgelegen hat. Dennoch sollte ein ungeschützter Hautkontakt zu einem Organophosphat möglichst vermieden werden – einfache wasserdichte Schutzkittel reichen hier jedoch aus.

Häufiger, aber immer noch selten zu finden sind Fallberichte über inhalative Exposition mit sekundären Vergiftungen beim Notaufnahmepersonal. Vergiftungen sind über diesen Weg möglich, die Symptomatik beim Personal ist dabei jedoch stets milde.

Der Kontakt zu Patienten, welche Tränengas oder Pfefferspray ausgesetzt waren, führt auch beim Personal häufig zu einer Reizung der Atemwege oder Augen.

Die Inhalation von im Magen des Patienten geformten Gas erscheint ebenfalls nur leichte Beschwerden hervorzurufen. Gefunden wurden drei Fallberichte, in denen Personal leichte Allgemeinsymptome wie (in einem Fallbeispiel) Bronchospasmus sowie Unwohlsein, Kopfschmerzen und Schwindel angeben, nachdem sie bei Patienten, die Aluminiumphosphid eingenommen hatten, Knoblauchgeruch wahrnahmen und wahrscheinlich kurzzeitig Phosphin-Gas ausgesetzt waren. Andererseits ist die Einnahme von Aluminiumphosphid eine häufige Suizidmethode in Indien und das dortige Krankenhauspersonal wendet keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen an. Es gibt auch weitere Berichte von milden Allgemeinsymptomen beim Personal durch Inhalation von Stickwasserstoffsäure (HN3) [Patient mit Ingestion von Natriumazid (NaN3)], Arsenwasserstoff (AsH3) [Patient mit Ingestion von Arsen-III-Oxid (As2O3)] oder Cyanwasserstoff (HCN). Vergiftungen beim Personal durch Einatmen von im Magen des Patienten gebildetem Gas sind also möglich, aber selten und dann milde.

Die Inhalation von Dämpfen durch Pestizide führte in den vorgestellten Berichten ebenfalls nur zu milden Allgemeinsymptomen beim Personal.
Die ausgeprägtesten Symptome bot das Krankenhauspersonal beim Sarin-Gas-Anschlag in Tokio. Selbst hier kam es jedoch nur zu milden Beschwerden wie Halsschmerzen, Kopfschmerzen oder Augenbeschwerden. Die am stärksten betroffenen sechs Ärzte, die direkt an der Wiederbelebung und Dekontamination zweier schwer kontaminierter Patienten beteiligt waren, zeigten eine Miosis und wurden mit Atropin behandelt, konnten allerdings die Patientenversorgung fortsetzen – und bei den beiden Ärzten, bei denen zum Nachweis des Ausmaßes der sekundären Vergiftung Cholinesterase-Aktivität bestimmt wurde, war diese normwertig. Eine systemische Vergiftung mit Sarin hatte hier also nicht vorgelegen, denkbar wäre also allenfalls eine leichte lokale Wirkung als Erklärung der Symptome.

Fazit

Insgesamt waren die Symptome bei allen sekundären Vergiftungen von Notaufnahmepersonal bis auf den einzigen, oben besprochenen Fallbericht milde. In den meisten Fällen waren diese auch sehr unspezifisch, sodass hier auch Angst oder unangenehme Gerüche eine Rolle gespielt haben könnten – ähnlich dem vielleicht einigen Lesern bekannten psychosomatisch bedingten Juckreiz nach versehentlichem ungeschützten Kontakt zu Patienten mit Läusen oder Scabies.

Es besteht zwar generell ein Risiko einer sekundären Kontamination in der Notaufnahme. Dieses ist jedoch nicht nur aufgrund der absoluten Seltenheit dieses Phänomens, sondern auch wegen der nur milden zu erwartenden Symptome gering. Dies soll nicht zur Unvernunft anregen, übertriebene Angst vor sekundären Vergiftungen ist jedoch sicher nicht notwendig.

In den allermeisten Fällen reicht das Tragen von medizinischen Handschuhen, einem wasserdichten Kittel und einer Schutzbrille sowie Gesichtsmaske –  analog zu den Schutzmaßnahmenbei einem infektiösen Patienten – zum Eigenschutz aus. Das Risiko einer sekundären Vergiftung kann durch gutes Lüften, Entkleiden des Patienten (und ggf. eine improvisierte Dekontamination mit trockenem Abrubbeln oder schnellem Waschen mit Wasser und Seife und anschließendem Trockenrubbeln) noch deutlich minimiert werden.

In der Präklinik, in einer potenziell giftigen Umgebung und mit weniger zeitlichem Abstand zur Exposition sollte man (wahrscheinlich) vorsichtiger sein, aber sobald der Patient aus dem Gefahrenbereich gerettet wurde, ist auch hier das Risiko für das Personal schon deutlich reduziert.

Zusammenfassung

  • Normale Schutzausrüstung wie beim infektiösen Patienten schützt das Notaufnahmepersonal in fast allen Fällen ausreichend
  • Eine gute Belüftung und Entkleidung des Patienten mit Lagerung der Kleidung im Freien (möglichst im verschlossenen Plastiksack) kann das Risiko für das Personal noch weiter reduzieren
  • Die meisten sekundären Vergiftungen entstehen durch Inhalation. Normale wasserdichte Einmalkittel verhindern Hautkontakt effektiv, kommt es doch zum ungeschützten Hautkontakt, sollte die eigene Haut umgehend mit Wasser und Seife gereinigt werden
  • Sollte es in Ausnahmefällen zu einer sekundären Vergiftung kommen, ist nur eine milde Symptomatik zu erwarten

Quellen

1. De Groot R, Van Zoelen GA, Leenders MEC, Van Riel AJHP, De Vries I, De Lange DW. Is secondary chemical exposure of hospital personnel of clinical importance? Clinical Toxicology. 2021;59(4):269-278. doi:10.1080/15563650.2020.1860216

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