Im heutigen Artikel möchten wir als Einschub zu unseren Artikeln im Review-Stil eine kurze Übersicht zu einem aktuellen Thema bringen. In Köln wurde unlängst ein vermeintlicher Terrorist verhaftet, der wohl einen Anschlag mit aus Rizinussamen extrahiertem Gift plante. Welche Giftwirkung hätte ein solcher Anschlag nun haben können, und was hätte es aus medizinischer Sicht zu beachten gegeben?
Das Gift
Der Rizinus oder Wunderbaum ist ein Wolfsmilchgewächs, bei dem insbesondere die Samen toxisch sind. Für die Giftwirkung sind primär zwei giftige Proteine verantwortlich, die meist der Einfachheit halber gemeinsam als „Ricin“ bezeichnet werden.
Eines dieser Proteine wirkt über die Blockade der Ribosomen und damit der Proteinbiosynthese und ist etwa 1000 Mal stärker als das zweite Protein, welches vor allem als Hämoagglutinin wirkt.1
Das Gift ist aus den Samen mit relativ geringem Aufwand zu extrahieren (auf die genaue Methode gehen wir hier aus offensichtlichen Gründen nicht ein).
Ricin entfaltet sowohl bei Ingestion, als auch Inhalation und Injektion seine toxische Wirkung und unterliegt der Bio- wie auch der Chemiewaffenkonvention der Vereinten Nationen. Bei einer intravenösen Applikation sind die tödlichen Dosen etwa 1000 Mal geringer als bei der oralen Aufnahme.
Als LD50, also Dosis bei welcher die Hälfte aller Individuen verstirbt, werden bei intravenöser Applikation etwa 2µg/kgKG für Mäuse und Hunde, bei inhalativer Exposition etwa 15µg/kg für Rhesus-Affen, und bei oraler Aufnahme etwa 20mg/kgKG für Mäuse angegeben.1 Beim Menschen wurde lange Zeit davon ausgegangen, dass die Ingestion von nur fünf Samen bei Kindern und 20 Samen bei Erwachsenen letal enden kann. 2
In den letzten Jahrzehnten sind jedoch keine tödlichen oralen Rizinussamen-Vergiftungen mehr berichtet worden (z.B. bestand in einer recht aktuellen Übersichtarbeit in keinem Fall einer oralen Aufnahme von mehr als 10 Samen Lebensgefahr und eine supportive Therapie war stets ausreichend)3, so dass die orale LD50 beim Menschen, welche oft zwischen 1-20mg/kgKG angegeben wird,4 vermutlich noch höher liegen dürfte.
Für die intravenöse und subkutane Applikation sind jedoch auch in den letzten Jahren noch tödliche Fälle beschrieben worden.1
Symptome
Die Symptome entwickeln sich, wohl unabhängig von der Dosis, mit einer Verzögerung von etwa 10 Stunden, wobei in Einzelfällen auch von kürzeren (3h) und längeren (24h) Abständen bis zum Symptombeginn berichtet wurde. Bei oraler Aufnahme stehen dabei Bauchschmerzen, Erbrechen und (teils blutige, langanhaltende) Durchfälle im Vordergrund, welche zu einer Dehydratation führen können, während bei einer intravenösen Applikation Muskelschmerzen und Muskelkrämpfe sowie Sepsis-ähnliche Symptome (Fieber, Hypotension und im Verlauf Multiorganversagen) im Vordergrund stehen. 1
Anschlagsszenario und Management
Bereits im zweiten Weltkrieg gab es zum Beispiel auf Seiten der Alliierten Versuche, Ricin als biologische Waffe zu verwenden.4 Da die Herstellung eines Aerosols hochaufwendig und die Anwendung schwierig ist, sahen bereits die damaligen Pläne vor Ricin mittels in den Körper eingedrungener Schrapnelle entsprechend präparierter Bomben zur Anwendung zu bringen. Es ist davon auszugehen, dass dies auch der Plan des mutmaßlichen Kölner Attentäters war.7
Welche Folgen medizinischen Folgen ein Anschlag mit einer solchen „schmutzigen Bombe“ gehabt hätte, bleibt schwer einzuschätzen. Zum einen ist Ricin nicht sonderlich hitzestabil, so dass wohl alleine durch die Explosionshitze ein Teil des Ricins seinen Effekt verloren hätte. Mit einer maßgeblichen inhalativen Wirkung dürfte, wenn überhaupt, wohl ebenso nur kurzzeitig zu rechnen gewesen sein, so dass die Hauptwirkung des Ricins durch die zusätzliche Intoxikation bei durch Schrapnelle verletzten Personen zu erwarten gewesen wäre.
Dass hier überhaupt eine biologische Waffe eingesetzt wurde, wäre aufgrund der um Stunden verzögerten Wirkung mit einem auch bei reiner Sprengwirkung zu erwartenden (nämlich septischem) Krankheitsbild unter Umständen erst spät aufgefallen.
Auch wenn eine Gefährdung des Rettungspersonals zum Beispiel durch die Inhalation Ricin-haltigen Staubes gering erscheint, hätte dies möglicherweise zu Betroffenen unter den Helfern führen können. Wäre der Einsatz von Ricin rasch bekannt gewesen, wären die Rettungs- und Behandlungsmaßnahmen wohl unter entsprechenden Schutzmaßnahmen durchgeführt worden, was zu einer Verzögerung des Therapiebeginns und damit vermutlich höheren Mortalität geführt hätte.
Ob es durch die Giftwirkung selbst zu einer deutlich höheren Anzahl von Todesfällen gekommen wäre, bleibt offen.
Die Behandlung der Betroffenen wäre neben einer Dekontamination der eines konventionellen Schlages gleich gewesen, da es für die Therapie von Ricin-Intoxikationen keine spezifischen Maßnahmen gibt.
Allerdings war das Outcome auch mit rein supportiver Therapie in fast allen Fällen einer oralen und in vielen Fällen einer intravenösen bzw. subkutanen Intoxikation bisher günstig.
In Zukunft könnte eine passive Immunisierung mit Anti-Ricin-Antikörpern5 oder die (prophylaktische) aktive Immunisierung mit einem Impfstoff gegen Ricin zur Verfügung stehen, wobei sich der Impfstoff RiVax® aktuell bereits in der klinischen Erprobung befindet6.
Das generelle Management von Intoxikationen mit Rizinussamen besteht in der Aktivkohlegabe innerhalb der ersten Stunde nach der Einnahme bei oraler Aufnahme und anschließender Monitor-Überwachung und supportiver Therapie, die vor allem im Ausgleich des Volumen- und Elektrolythaushaltes besteht. Die subkutane oder intravenöse Applikation kann auch zu lokalen Nekrosen führen, welche chirurgisch versorgt werden sollten.4
Zusammenfassung
- Ricin ist ein potentes Gift, insbesondere bei inhalativer oder intravenöser Exposition
- Die Latenz bis zum Symptombeginn ist mit etwa 10 Stunden lang
- Die Symptome sind unspezifisch und reichen von heftigen gastroenterischen Beschwerden bei oraler Aufnahme bis hin zu sepsisähnlichen Symptomen bei intravenöser Applikation
- Bei oraler Aufnahme wurden in jüngster Zeit unter supportiver Therapie keine Todesfälle mehr beschrieben, für die intravenöse und subkutane Applikation gibt es auch aktuell noch Berichte über einen tödlichen Ausgang
- Die Therapie ist supportiv, spezifische Behandlungsoptionen bestehen nicht
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Quellen
- Worbs S, Köhler K, Pauly D, et al. Ricinus communis Intoxications in Human and Veterinary Medicine-A Summary of Real Cases. Toxins (Basel). 2011;3(10):1332-1372.
- von Mühlendahl KE. Vergiftungen Im Kindesalter. 4th ed. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2003.
- Thornton SL, Darracq M, Lo J, Cantrell FL. Castor bean seed ingestions: A state-wide poison control system’s experience. Clinical Toxicology. 2014;52(4):265-268.
- Audi J, Belson M, Patel M, Schier J, Osterloh J. Ricin Poisoning: A Comprehensive Review. JAMA. 2005;294(18):2342-2351.
- Gal Y, Mazor O, Falach R, Sapoznikov A, Kronman C, Sabo T. Treatments for Pulmonary Ricin Intoxication: Current Aspects and Future Prospects. Toxins (Basel). 2017;9(10).
- https://www.soligenix.com/news/soligenix-receives-orphan-drug-designation-european-commission-rivax-prevention-ricin-poisoning/ (abgerufen am 01.07.2018)
- https://www.tagesschau.de/inland/bka-biobombe-103.html (abgerufen am 01.07.2018)
Liebes ToxDocs Team,
vielen Dank für eure Mühe und fachlich sehr gut aufbereiteten Beiträge! Ich lese euren Blog super gerne 🙂
Bitte bitte bitte schaut nochmal auf Tipp-/Flüchtigkeits-/…fehler. Im letzten Beitrag finden sich im Haupttext als auch in der Zusammenfassung ein paar kleine Schnitzer.
lg aus Wien
Stephan
Lieber Stephan,
vielen Dank, dass dir das aufgefallen ist und du uns Bescheid gegeben hast! Wir haben den Text korrigiert und werden in zukunft verstärkt darauf achten.
Danke dir auch für das Lob 🙂
Viele Grüße!
Christoph