Paravasate sind eine eher seltene, aber regelmäßig auftretende Komplikation bei IV-Gabe von Medikamenten, auch wenn genaue Daten zur Inzidenz nicht vorliegen.
Jeder, der Medikamente intravenös appliziert, sollte wissen, worauf es zu achten und was es zu tun gilt, sollte ein Mittel versehentlich einmal nicht intravenös appliziert werden. Daher möchten wir euch in diesem Artikel einen kleinen Überblick über Paravasate geben (auch wenn diese nicht zu Vergiftungen im eigentlichen Sinne führen).
Mechanismen
Wird ein Medikament oder eine Infusionslösung versehentlich paravasal verabreicht, kann dies im Wesentlichen über drei Mechanismen zu einer Gewebsschädigung führen:
Die Gabe von Katecholaminen führt zu lokaler Vasokonstriktion und Ischämie mit konsekutiver Nekrose.
Hyperosmolare Lösungen wie parenterale Ernährung (auch speziell für die periphere Gabe geeignete Lösungen) oder Kontrastmittel führen zu Flüssigkeitsverschiebungen nach extrazellulär mit erhöhtem Kompartmentdruck und gegebenenfalls folgendem Kompartmentsyndrom.
Zuletzt gibt es noch direkt zytotoxische Substanzen, zu denen einige Chemotherapeutika gehören.1
Allgemeines Management
Erstmaßnahmen (nach Maly1 und Uptodate)
- Infusion stoppen, nicht nachspülen!
- Extremität anheben
- Nadel/Zugang/Kanüle/Katheter nicht entfernen: Aspiration versuchen, ggf. Antidot darüber injizieren, erst dann entfernen
- Lokale Kühlung fast immer, Ausnahmen siehe spezifische
Substanzen
vor allem kontraindiziert bei Vincaalkaloiden (z.B. Vincristin), hier empfehlen die europäischen Onkologen die lokale Wärmebehandlung, obwohl die Evidenz hierfür eher schlecht ist2
Handelt es sich bei der paravasal verabreichten Substanz nicht gerade um Chemotherapeutika, reichen meist wenige Erstmaßnahmen und die lokale Kühlung aus. Larson konnte sogar bei fast 90% aller Patienten mit Paravasat eines Chemotherapeutikums beobachten, dass die symptomatische Therapie und Kühlung über 4×15 Minuten pro Tag an drei Tagen ausreichend war.3 Dies scheint auch für generell nicht zytotoxische Medikamente wie Thiopental oder Piperacillin/Tazobac zu gelten, vor deren Paravasat zumindest in der klinischen Ausbildung des Autors immer wieder gewarnt wurde. Eine besondere Schwere der Reaktionen oder weiterführende Maßnahmen außer Kühlung und supportiver Therapie sind in der Literatur hier nicht beschrieben.4,5
Sollte es dennoch in seltenen Fällen zu lokalen Ulzera kommen, können diese analog zu ähnlichen Wunden anderer Genese versorgt werden. Wenn Schmerzen über ein bis zwei Wochen persistieren, nicht heilende Ulzera vorliegen oder eine Nekrose der gesamten Hautschicht vorliegt, sollte die (plastisch-) chirurgische Mitbeurteilung erfolgen.1
Verlauf und Management für spezifische Substanzen
Sind die Erstmaßnahmen umgesetzt und ihr habt etwas Zeit zum Nachlesen, möchten wir euch hier noch die wenigen spezifischen Maßnahmen für bestimmte Medikamente, vor allem Chemotherapeutika, vorstellen und die zugehörigen Milestone-Paper zitieren, damit ihr hier bei Interesse oder Bedarf auch die Details nachlesen könnt.
Vasokonstriktoren
Bei Paravasat von Katecholaminen und Vasokontriktoren sind
spezifische Maßnahmen nicht möglich. Nekrosen sind bei über längere Zeit
unbemerkten Paravasaten nicht selten, daher sollte hier eine engmaschige
Beobachtung des betroffenen Areals und bei Auftreten von Nekrosen die
frühzeitige chirurgische Vorstellung erfolgen.6
Aus meiner persönlichen Sicht macht es pathophysiologisch hier keinen Sinn zu
kühlen, sondern eher zu wärmen, um die Durchblutung anzuregen und einen
schnelleren Abbau der Katecholamine zu bewirken.
Hyperosmolare Substanzen – Periphere parenterale Ernährung und Kontrastmittel [Maly]
Paravasate scheinen besonders bei peripherer parenteraler Ernährung besonders häufig zu sein
(vermutlich aufgrund der langen Laufzeit). Maly zitiert hier eine Studie an
pädiatrischen Patienten mit einer Häufigkeit eines Paravasates zwischen 7 und
17%. Der Einsatz von Hyaluronidase wird hier in Fallberichten immer wieder
erfolgreich beschrieben, größere Studien gibt es hierzu jedoch noch nicht.1
Auch wenn somit keine spezifischen Maßnahmen möglich sind, sei dies noch einmal
ein Hinweis, bei Anordnung einer peripheren parenteralen Ernährung besonders
auf die korrekte Lage des Zugangs zu achten und diesen gut zu sichern .
Paravasate von Kontrastmitteln treten dagegen seltener auf, immerhin mit Häufigkeiten bei bis zu 1/100 Gaben. Meist sind die lokalen Entzündungen selbstlimitierend, als Erstmaßnahme wird das Anheben der Extremität und das Erwärmen empfohlen.7
Chemotherapeutika
Da Chemotherapeutika in der Regel zytotoxisch wirken, sind bei Paravasaten hier die größten Schäden zu erwarten, eingeteilt werden sie dabei nach dem zu erwartenden Schaden in folgende Gruppen:1,8
- Vesicants: Verursachen Blasen, schwere, teils nicht spontan heilende Nekrosen und Schmerzen; z.B. Actinomycin D, Doxorubicin, Mitomycin D
- Exfoliants: Führen in der Regel zu lokaler Entzündung mit Blasenbildung, jedoch typischerweise nicht zu Nekrosen und heilen meist von selber; z.B. Cisplatin, Oxaliplatin, Paclitaxel
- Irritants: Führen zu einer lokalen in der Regel selbstlimitierenden Entzündungsreaktion; z.B. Carboplatin, Etoposid, Topotecan
- Inflammants: Verursachen eine milde lokale Inflammation und Irritation; z.B.Fluouracil, Methotrexat
- Neutrals: Haben keine lokale Wirkung; z.B. Rituximab, Trastuzumab, Eribulin
Neben den bereits unter den Erstmaßnahmen genannten Schritten können für einige Chemotherapeutika noch spezifische Mittel eingesetzt werden, zur Übersicht eignen sich hier auch gut die Empfehlungen der WHO8 und die mit sehr übersichtlichen Ablauf-Schemata versehenen Empfehlungen der Europäischen Onkologen2.
Bei Anthrazyklin-Paravasat (z.B. Doxorubicin) kann Dexrazoxan gegeben werden. Dies führte bei insgesamt 54 untersuchten Patienten dazu, dass nur bei einem Patienten eine chirurgische Intervention nötig wurde, während Paravasate hiermit sonst fast immer chirurgische Behandlung benötigen. Die Dosierung beträgt dabei 1000 mg/m² KOF so rasch wie möglich IV, am Folgetag dann erneut 1000 mg / m² IV und am dritten Tag 500 mg/m² KOF IV.9
Bei Nicht-Vorhandensein von Dexrazoxan oder nur geringer Anthrazyklin-Menge (vielleicht <5ml), wird die topische Therapie mit DMSO und lokale Kühlung empfohlen.1 Die ESMO empfiehlt das Auftragen von DMSO und Kühlen alle 8h für 7 Tage.2
Bei Taxanen (z.B. Paclitaxel und Docetaxel), Etoposid und Vinca-Alkaloiden (z.B. Vincristin) wird die Gabe von Hyaluronidase als lokale Injektion rund um das Paravasat empfohlen. Die Dosierungen sind dabei unterschiedlich in der Literatur angegeben, die ESMO empfiehlt daher pragmatisch die Gabe 150-900 IU.1,2
Bei Mechlorethamin und Cisplatin wird manchmal die Gabe von 2-4% Na-Thiosulfat Lösung empfohlen. Gute Daten hierzu gibt es jedoch nicht. Falls man sich zur Gabe entscheidet, kann man 2% Na-Thiosulfat herstellen, in dem man 4ml 10% Natrium-Thiosulfat mit 6ml Aqua ad mischt und von dieser Lösung dann bei Mechlorethamin 2ml/mg oder bei Cisplatin 2ml/100mg rundherum lokal infiltriert.1,2
Zusammenfassung
- Die meisten Paravasate verlaufen harmlos und führen lediglich zu einer lokalen Inflammation
- Als Erstmaßnahme sollte über die liegende Kanüle eine Aspiration versucht werden und meist die Kühlung erfolgen, darüberhinausgehende Maßnahmen sind selten erforderlich
- Bei Chemotherapeutika wird je nach Substanz teils noch die spezifische Therapie empfohlen, besonders bei den sehr oft zu nicht heilenden Nekrosen führenden Anthrazyklinen
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Quellen
1. Maly C, Fan KL, Rogers GF, et al. A Primer on the Acute Management of Intravenous Extravasation Injuries for the Plastic Surgeon. Plast Reconstr Surg Glob Open. 2018;6(4).
2. Pérez Fidalgo JA, García Fabregat L, Cervantes A, Margulies A, Vidall C, Roila F. Management of chemotherapy extravasation: ESMO–EONS Clinical Practice Guidelines. Ann Oncol. 2012;23(suppl_7):vii167-vii173.
3. Larson DL. What is the appropriate management of tissue extravasation by antitumor agents? Plast Reconstr Surg. 1985;75(3):397-405.
4. Reynolds PM, MacLaren R, Mueller SW, Fish DN, Kiser TH. Management of extravasation injuries: a focused evaluation of noncytotoxic medications. Pharmacotherapy. 2014;34(6):617-632.
5. Le A, Patel S. Extravasation of Noncytotoxic Drugs: A Review of the Literature. Ann Pharmacother. 2014;48(7):870-886.
6. Loubani OM, Green RS. A systematic review of extravasation and local tissue injury from administration of vasopressors through peripheral intravenous catheters and central venous catheters. Journal of Critical Care. 2015;30(3):653.e9-653.e17.
7. Rose TA, Choi JW. Intravenous Imaging Contrast Media Complications: The Basics That Every Clinician Needs to Know. The American Journal of Medicine. 2015;128(9):943-949.
8. Kreidieh FY, Moukadem HA, El Saghir NS. Overview, prevention and management of chemotherapy extravasation. World J Clin Oncol. 2016;7(1):87-97.
9. Mouridsen HT, Langer SW, Buter J, et al. Treatment of anthracycline extravasation with Savene (dexrazoxane): results from two prospective clinical multicentre studies. Ann Oncol. 2007;18(3):546-550.
Servus Christoph,
sehr schöner Artikel – wie immer! Leider hat sich glaub ich ein Typo eingeschlichen: Im Originalzitat [1] ist die Rede von DMSO (Dimethylsulfoxid) und hier von DSMO. Oder meinst du hier etwas anderes?
LG
Daniel
Hi Daniel,
danke für das Lob und das aufmerksame Lesen, es ist wirklich ein Tippfehler, habe ich korrigiert 🙂
Christoph
Hi Christoph,
tolle Übersicht, gefällt mir sehr gut!
Ich möchte noch Calcium i.v. als mögliche Substanz für Nekrosen und Kalkdepots bei Paravasat ergänzen. Ca2+-chlorid noch mehr als -gluconat.
LG,
Steffen
Danke für den Hinweis. Es stimmt, generell können Substanzen mit hoher Osmolarität wie auch konzentrierte Elektrolytlösungen zu Nekrosen führen. Die ist besonders tückisch, wenn ein zentraler Katheter extravasal liegt und die Substanzen unverdünnt infundiert werden. Eine gute Übersicht bieten hier z.B. Schummer und Kollegen in Tabelle 3 ihres Artikels im Anästhesisten 2003, den man hier kostenlos anschauen kann:
https://www.researchgate.net/publication/10583650_Extravasation_A_rare_complication_of_central_venous_cannulation_Case_report_of_an_imminent_arrosion_of_the_common_carotid_artery