Ethylenglykol-Intoxikationen

Stoffeigenschaften

Ethylenglykol selbst ist ähnlich dem Ethanol direkt ZNS-toxisch und auch reizend, vor allem gefährlich sind jedoch die Metabolite Glykolat und geringerem Maße auch Oxalat, zu denen Ethylenglykol über die Alkoholdehydrogenase abgebaut wird.

Vorkommen: In Frostschutzmittel (Scheibenfrostshutz bis 25%, Kühlerfrostschutz bis 99%) und älteren Kühlpacks, schmeckt unvergällt süßlich und wird daher gerne von Kindern gegessen, die diese Kühlpacks aufreißen.

Der maximale Serumspiegel wird nach 3-4 Stunden erreicht. Die HWZ beträgt 3-8 Stunden, mit dem Antidot-Ethanol um 17-18 Stunden, mit Fomepizol um 20 Stunden.

Das Verteilungsvolumen ist mit 0,5-0,8l/kg gering und eine Plasma-Proteinbindung liegt ebenfalls nicht vor.

 

Symptome der Ethylenglykol-Intoxikation

In Fallberichten werden besonders bei Kindern schon ab kleinen Mengen mit einer Aufnahme von 0,1 ml/kgKG (reinem) Ethylenglykol Symptome wie Übelkeit und Erbrechen sowie eine Rauschsymptomatik ähnlich dem Ethanolrausch beschrieben. Bei Mengen ab 0,2 ml/kgKG sind bereits schwere Symptome wie Azidose und Nierenversagen möglich.

Im zeitlichen Verlauf kommt es innerhalb der ersten 12 Stunden zunächst zu besagter Rauschsymptomatik (bis hin zur Bewusstlosigkeit), die durch Ethylenglykol direkt ausgelöst wird, oft mit heftigen abdominellen Schmerzen aufgrund der schleimhautreizenden Wirkung des Ethylenglykols. In den nächsten 12 Stunden können sich unter Umständen pulmonale Beschwerden (insbesondere ein Lungenödem) und eine Schocksymptomatik zeigen, welche vermutlich aufgrund der zunehmenden Azidose durch die toxischen Stoffwechselprodukte entstehen. Nach etwa einem bis drei Tagen kommt es dann zum akuten Nierenversagen.

Bei etwa der Hälfte der Ethylenglykolintoxikationen besteht eine Co-Ingestion von Ethanol, wodurch der Ethylenglykol-Abbau über die ADH deutlich verzögert auftritt und somit auch die Symptome um Stunden bis wenige Tage verzögert auftreten können.

 

Diagnostik der Ethylenglykol- Intoxikation

Die Diagnosestellung ist besonders bei nicht beobachteter oder nicht berichteter Einnahme nicht so einfach. Eine Spiegelbestimmung ist meist nur mit zwei bis drei Tagen Verzögerung möglich, was für die rasche Therapieeinleitung zu lange ist.

Daher sollten die beobachtete oder berichtete Einnahme und möglichst zwei der folgenden Kriterien für eine Diagnosestellung herangezogen werden [1,3]:

  • Erhöhte Osmolalitätslücke >10 mOsm/kg
    Diese ist insbesondere zu Beginn der Intoxikation oft deutlich erhöht (Ethylenglykol hat ähnlich wie Ethanol eine hohe Osmolalität). Wichtig ist auch den Ethanolspiegel zu bestimmen, da Ethanol ebenfalls die Osmolalität erhöht und eine häufige Koingestion ist. Leider ist eine normale Osmolalitätslücke nicht geeignet, um eine Intoxikation auszuschließen, da diese bei manchen Individuen von Hause aus negativ ist und damit unter Umständen gar nicht erhöht wäre. Außerdem wird Ethylenglykol über die Zeit zu Glykolat abgebaut, welches keine erhöhte Osmolalität hat.
    Die Osmolalitätslücke ist also vor allem zu Beginn der Intoxikation hilfreich. Bei sehr hohen Werten von >20 oder 30 mosm/kg ist eine Ethylenglykol-Intoxikation (oder sonstige Alkoholintoxikation) sehr wahrscheinlich.
  • Metabolische Azidose (pH<7,3) mit vergrößerter Anionenlücke
    Diese entsteht durch die Akkumulation von Glykolat und beginnt etwa drei Stunden nach Einnahme. Sie ist ein guter Prognosefaktor für das Auftreten eines Nierenversagens.
  • Laktatazidose mit Differenz der Laktatwerte aus BGA und Zentrallabor
    Glykolat wird in BGA-Geräten einiger Hersteller als Lactat gemessen. Ein ungewöhnliches hohes Lactat in der BGA bei gleichzeitig niedrigem Wert im Zentrallabor ist daher ein einfacher, schneller und hochsuggestiver Test für eine Ethylenglykol-Intoxikation (dieser Punkt ist in den Guidelines noch nicht aufgeführt, wird aber in der Literatur immer wieder als möglicher Indikator vorgeschlagen)
  • Akutes Nierenversagen
  • Oxalatkristalle im Urin
    Treten ab 4-8h nach Ingestion, aber nur bei etwa jedem dritten Patienten auf. Sie sind nicht sehr spezifisch, können in der Gesamtschau aber einen Hinweis liefern

 

Management der Ethylenglykol-Intoxikation

Neben der rein supportiven Therapie, besteht die Therapie in der Antidot-Gabe und oftmals der Hämodialyse.

Antidote

Die Antidot-Gabe ist besonders zu Beginn der Intoxikation sinnvoll. Ethanol und Fomepizol als mögliche Antidote hemmen beide kompetitiv die Alkoholdehydrogenase und somit den Abbau von Ethylenglykol zum sehr viel toxischeren Glykolat.

Die Verwendung von Ethanol hat den Vorteil, dass dieses billig und leicht verfügbar ist. Der Nachteil liegt darin, dass eine Intensivüberwachung und ständige Spiegelkontrollen notwendig sind. Außerdem kommt es bei einem Zielspiegel von 1 Promille Blutalkohol bei einem großen Teil der Patienten zu (insbesondere ZNS-) Nebenwirkungen.

Fomepizol hingegen verursacht weniger Nebenwirkungen, ist einfacher zu dosieren und bei einem ansonsten beschwerdefreien Patienten muss keine Intensivüberwachung erfolgen. Leider ist es ziemlich teuer und in Deutschland meist schlecht verfügbar.

Die Indikation zur Antidotbehandlung sind [1]:

  • Ethylenglykol-Serumlevel ≥ 20 mg/dl
  • Sichere Einnahme und Osmolalitätslücke >10 mosm/kg (und nicht durch Ethanol erklärt)
  • Klinischer Verdacht auf Intoxikation und möglichst zwei weitere Kriterien aus:
    • Azidose mit pH<7,3
    • Serumbikarbonat <20 mmol/l
    • Osmolalitätslücke >10 mosm/kg
    • Oxalatkristalle im Urin
  • Laut Fachinformation Fomepizol:
    • Patientenanamnese
    • Metabolische Azidose und AL von >16 mmol/l
    • Osmo-Lücke ≥ 20mosm/kg
    • Oxalatkristalle im Urin

Hämodialyse

Aufgrund des kleinen Verteilungsvolumens und der fehlenden Proteinbindung ist Ethylenglykol genauso wie Glykolat hervorragend hämodialysabel und die Clearance scheint in etwa der Harnstoff-Clearance, mindestens jedoch 80% derselben zu betragen. Oftmals wird eine Dialyse neben der Antidotgabe notwendig sein, da entweder schon toxische Stoffwechselprodukte entstanden sind, oder weil durch die alleinige Antidotgabe die Halbwertzeit von Ethylenglykol dermaßen gesteigert wird (auf 17-20 Stunden), dass die Antidottherapie über Tage durchgeführt werden müsste, was weder medizinisch noch ökonomisch sinnvoll ist.

Um eine möglichst rasche Elimination zu erreichen, ist eine intermittierende Hämodialyse mit einem möglichst hohen Blutfluss gegenüber Verfahren mit geringerem Blutfluss wie z.B. SLEDD oder CVVHD zu bevorzugen.

Da auch die Antidote Ethanol und Fomepizol hervorragend dialysabel sind, müssen diese unter Dialyse höher dosiert werden.

Indikationen für die Dialyse sind [1]:

  • Metabolische Azidose mit pH <7,3
  • Akutes Nierenversagen
  • Serum-Ethylenglykol-Spiegel >50mg/dl ohne Antidot bzw. >300mg/dl mit Fomepizol-Gabe sowie Patient asymptomisch mit normalem pH
  • Ältere Faustregel auch: ab Aufnahme von 0,5ml/kgKG [2]

Gute Kriterien für die Beendigung einer Dialysetherapie fehlen noch. Ein Serumspiegel <20mg/dl gilt als untoxisch, ist aber aufgrund der meist langen Messdauer kein praktikabler Parameter.

 

Zusammenfassung

Die toxische Wirkung von Ethylenglykol beruht weniger auf dem Stoff selbst, sondern vor allem auf dessen Stoffwechselprodukten Glykolat und Oxalat.

Bereits kleine Mengen Ethylenglykol sind toxisch. Ein bis zwei Schluck können schon schwere Symptome hervorrufen.

An eine Ethylenglykol-Intoxikation sollte man bei erhöhter Osmolalitätslücke und/oder bei metabolischer Azidose mit erhöhter Anionenlücke denken, und das insbesondere, wenn der Laktatwert ohne adäquate andere Erklärung erhöht ist:
Manche BGA-Geräte messen nämlich Glykolat falsch als Laktat, was man sich (wohl) auch diagnostisch zu nutzen machen kann.

Die Therapie ist bei niedriger Dosis und frühem Beginn eventuell nur die Antidot-Gabe in Form von Ethanol oder Fomepizol; bei hoher Menge, wenn schon eine Azidose oder gar ein Nierenversagen vorliegt, ist die zusätzliche Hämodialyse Mittel der Wahl.

Die wichtigen Punkte des Artikels und konkrete Dosierungsvorschläge für die Antidote auch zur Offline-Nutzung findet ihr in der Pocket-Card zum Download hier.

 

 

Quellen

[1] Barceloux DG et al. American Academy of Clinical Toxicology Practice Guidelines on the Treatment of Ethylene Glycol Poisoning. Ad Hoc Committee. J Toxicol Clin Toxicol 1999;37:537–60.

[2] von Mühlendahl KE. Vergiftungen im Kindesalter. 4th ed. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2003.

[3] Kraut JA, Mullins ME. Toxic Alcohols. N Engl J Med 2018;378:270–80.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert