Paracetamol Teil 1 – Allgemeines

Paracetamol ist eines der am häufigsten in Deutschland verwendeten Medikamente und findet nicht nur in der Grippezeit wegen seiner schmerzlindernden und fiebersenkenden Wirkung eine breite Anwendung.
Aufgrund der leichten Zugänglichkeit und weiten Verbreitung gehören sowohl akzidentielle Vergiftungen als auch vorsätzliche Vergiftungen im Rahmen von Suizidversuchen zu den häufigsten Vergiftungen in Deutschland und sind Grund für etwa jeden vierzigsten Anruf in einer deutschen Giftinformationszentrale. Dabei sind etwa von zwei von drei vorgestellten Vergiftungsfällen suizidaler Intention und ein Drittel akzidentieller Natur.1
Während in Großbritannien jährlich etwa 150 Menschen an Intoxikationen mit Paracetamol versterben,2 liegt die Mortalität in Deutschland vermutlich im niedrigen einstelligen Bereich. So verstarb in Deutschland nach Kenntnis der Giftnotrufzentralen 2006 nur ein einziger Patient an einer Paracetamol-Vergiftung.1

Trotz der Häufigkeit der Paracetamol-Vergiftungen und einem breiten Angebot an diesbezüglicher Literatur bleibt hochqualitative Evidenz die Ausnahme. Euch erwarten insgesamt drei Artikel über Paracetamol-Intoxikationen:

  1. In diesem Artikel möchten wir euch einen Überblick über Vergiftungen mit Paracetamol geben
  2. In einem zweiten Artikel werden wir das Vorgehen an Hand typischer Fälle praxisnah erklären
  3. Und in einem dritten Artikel einen Ausblick über zukünftige Entwicklungen im Management von Paracetamol-Vergiftungen geben

Pathogenese

In therapeutischer Dosierung wird Paracetamol in der Leber zu über 90% mit Glucuronsäure und Sulfat konjugiert und nur zu geringem Teil über CYP2E1 zu toxischem N‐Acetyl‐P‐Benzoquinonimin, kurz NAPQI, abgebaut.
Bei der Einnahme einer Überdosis ist die vorhandene Kapazität zur Konjugation jedoch schnell gesättigt und ein immer größer werdender Teil des Wirkstoffs wird über den alternativen Weg zu toxischem NAPQI abgebaut.
Dieses verliert normalerweise durch Reaktion mit Glutathion seine toxischen Eigenschaften, jedoch werden bei einer Überdosis die Glutathion-Vorräte rasch aufgebraucht und können nicht mehr in ausreichendem Maße regeneriert werden, weshalb NAPQI dann als Radikal wirkt, Proteine in den Hepatozyten denaturiert, zur Nekrose der Leberzellen führt und damit eine unterschiedliche ausgeprägte Leberschädigung hervorruft.3

Symptome

Nach einmaliger Einnahme einer toxischen Paracetamol-Dosis kommt es typischerweise zu einem dreiphasigen Verlauf:

Zunächst treten in einer ersten Phase von etwa 2 bis 14 Stunden nach der Einnahme gastrointestinale Symptome mit führender Übelkeit und Erbrechen auf. Diese können aber auch ausbleiben.

Anschließend kommt es zu einer symptomfreien Phase, in der es zu einem langsamen Anstieg von Transaminasen und weiteren Leberwerten kommt, der Patient jedoch symptomfrei bleibt.

In der dritten, „hepatischen“ Phase nach 72 bis 96 Stunden erreichen die Leberwerte ein Maximum und die hepatische Schädigung wird auch klinisch apparent. Die Patienten beklagen Oberbauchschmerzen und können einen Ikterus entwickeln, bei schweren Vergiftungen auch ein Nierenversagen, eine hepatische Enzephalopathie und eine akute Pankreatitis. Selten folgt hierauf ein gefürchtetes und dann ohne Lebertransplantation oft tödlich verlaufendes fulminantes Leberversagen.
In der Mehrheit der Fälle kommt es zu einer beginnenden Erholung ab dem vierten bis fünften Tag mit einer vollständigen Regeneration ein bis zwei Wochen nach der Vergiftung.4

Bei einer massiven Überdosis ist auch primär ein Koma und eine Azidose möglich.4

Risikoabschätzung

Je weiter fortgeschritten eine Vergiftung mit Paracetamol bei Erstvorstellung ist, desto höher ist die Mortalität. Bei Erstvorstellung in der hepatischen Phase kann die Mortalität bei 20-40 % liegen.5
Besonders gefährlich sind hierbei die meist akzidentiellen Vergiftungen durch Paracetamoleinnahme von supratherapeutischen Dosen über mehrere Tage hinweg; die Tagesmaximaldosis für Erwachsene liegt hier bei 4 g. Hier kommt es meist schon nach 24 Stunden zu einer Erschöpfung der Glutathionreserven und einer anschließenden toxischen Wirkung.4
Diese wird von den Patienten jedoch zunächst nicht bemerkt und die Vorstellung erfolgt erst mit Auftreten der Beschwerden in der hepatischen Phase, in der die Leberschädigung bereits stattgefunden hat. Dies erklärt die deutlich höhere Morbidität und Mortalität dieser Patientengruppe, die zum Beispiel in einer kleinen französischen Beobachtungsstudie gezeigt wurde.6

Am Rande sei hier erwähnt, dass retardierte Paracetamol-Präparate, die in Deutschland nicht, im EU-Ausland wie Schweden und den Niederlanden aber trotz Empfehlung der EMA zum Entzug der Zulassung sehr wohl (noch) erhältlich sind, ebenfalls mit einem deutlich erhöhten Risiko für schwere Vergiftungen einhergehen.7

In der Literatur wird oftmals diskutiert, dass Patienten mit chronischem Alkoholabusus, Mangelernährung oder Einnahme von CYP-induzierenden Medikamenten aufgrund geringerer Glutathion-Reserven und vermehrt anfallendem NAPQI durch Enzymindukion ein erhöhtes Risiko für eine toxische Paracetamol-Wirkung haben könnten.
Diese theoretische Annahme konnte bisher aber weder in klinischen noch experimentellen Beobachtungen sicher bestätigt werden. Manche Untersuchungen weisen sogar auf erhöhte Glutathion-Reserven bei Mangelernährten hin und zumindest die Einnahme bis zur Tagesmaximaldosis von 4 g Paracetamol wird auch bei Erwachsenen Alkoholikern heute als sicher betrachtet. Insgesamt sind hier weitere Untersuchungen notwendig. Bis dahin sollten Patienten mit Alkoholabusus, Mangelernährung und vorbestehenden Leberschäden zur Vorsicht weiterhin als Risikogruppe bei Paracetamol-Überdosierungen betrachtet werden.3

Das wichtigste Instrument zur Risikoabschätzung und Stellungeiner Behandlungsindikation ist das Rumack-Matthew-Normogramm, welches 1975 veröffentlicht wurde.
Basierend auf einer kleinen Fallserie von weniger als 100 Fällen konnte hiergezeigt werden, dass Patienten mit einem Paracetamol-Spiegel oberhalb einer Linie zwischen 200 mg/l 4 Stunden nach der Einnahme und 50 mg/l 12 Stunden nach der Einnahme ein hohes Risiko für eine toxische Leberschädigung haben.8
Da die FDA noch einen zusätzlichen Sicherheitsbereich von 25% forderte, als sich abzeichnete, dass eine effektive Behandlung der Intoxikationen mit ACC möglich wurde und die erste Studie hierzu geplant wurde,9 entwickelte sich das bis heute etablierte Normogramm, nach dem eine Therapie mittels ACC-Schema bei Blutspiegeln über einer Linie zwischen 150 mg/l nach 4 Stunden und 37,5 mg/l nach 12 Stunden erforderlich ist.3

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Da Paracetamol ungefähr ein Verteilungsvolumen von 1 l/kg hat, entsprechen die initialen Blutspiegel nach 4 Stunden in etwa der aufgenommenem Paracetamol-Dosis pro Kilogramm Körpergewicht, wenn man annimmt, dass nach 4 Stunden Paracetamol vollständig resorbiert wurde und hier die maximalen Serumlevel erreicht sind.
Das bedeutet dann, dass bei einer Einnahme von 150 mg/kgKG eine Behandlungsindikation vorliegt, da ein Serumspiegel von 150mg/l nach 4 Stunden zu erwarten ist.3
Entsprechend ist ab einer Aufnahme von 250 mg/kgKG Paracetamol eine Leberschädigung wahrscheinlich und eine schwere Schädigung tritt bei über 90% der Patienten ab einer Aufnahme von 350 mg/kgKG auf, wenn keine Therapieerfolgt.4

Vorsichtig bewerten sollte man die Spiegel bei Koingestion von Medikamenten, die die gastrointestinale Motilität senken oder Bezoare bilden können, zum Beispiel bei Opioiden, trizyklischen Antidepressiva oder Quetiapin, da es hier zu einer verzögerten Resorption kommen kann.10

Auch wenn diese Fälle sehr selten sind, kann es auch bei Blutspiegeln von unter 150 mg/l nach 4 Stunden, ja sogar bei therapeutischen Dosierungen zu toxischer Paracetamol-Wirkung kommen.2 Im Vereinigten Königreich wird daher seit 2012 bereits ein Spiegel von 100 mg/L als Behandlungsindikationgesehen,11,12 obwohl unklar ist, welchen Nutzen dies hat.13

Der therapeutische Blutspiegel liegt bei 10-20 mg/l.4
Ein negativer Paracetamol-Spiegel 2-4 Stunden nach der Einnahme könnte eventuell eine Toxizität auch ohne erneute Testung vier Stunden nach der Einnahme ausschließen, hierzu sind aber noch weitere Studien erforderlich.14

Über weitere in der Entwicklung befindliche Parameter zur Risikoabschätzung berichten wir euch im dritten Artikel über Paracetamol-Vergiftungen.

Management

Bei Intoxikationen mit suizidaler Intention erfolgt die klinische Vorstellung meist rasch nach der Tabletteneinnahme, weshalb eine supportive Therapie hier oft nicht nötig ist. Bei bereits bestehender Symptomatik sollte hingegen zunächst die supportive Therapie erfolgen. Im Folgenden werden wir euch die verschiedenen spezifischen Maßnahmen bei Paracetamol-Intoxikationen vorstellen. Im zweiten Artikel zu Paracetamol-Vergiftungen besprechen wir dann verschiedene Fallkonstellationen von Paracetamol-Intoxikationen mit dem konkreten praxisnahen Vorgehen.

Giftelimination

Wie auch bei anderen Vergiftungen ist die Evidenz für die Gabe von Aktivkohle bei Paracetamatol-Intoxikationen schlecht. Dennoch konnten einige Untersuchungen zeigten, dass die Gabe von Kohle innerhalb von 2 Stunden nach Einnahme von Paracetamol zu deutlich geringeren Serumleveln führt.

Beispielhaft sei eine Beobachtungsstudie von Buckley und Kollegen genannt, bei der immerhin 981 Probanden eingeschlossen wurden. Hier erreichten 41 % der Patienten, welche keine Kohle erhielten, einen toxischen Serumspiegel nach 4 Stunden, während nur 15 % der Patienten, die Kohle erhalten hatten, nach 4 Stunden toxische Spiegel zeigten.15
Underhill konnte 1990 in einer kleinen randomisierten Studie zeigen, dass die einmalige Gabe von Aktivkohle die Plasmaspiegel deutlich besser senkt, als das Auslösen von Erbrechen oder eine Magenspülung.16 Dabei ist die frühe Kohlegabe innerhalb der ersten Stunde effektiver als die Gabe erst nach einer Stunde bis zur zweiten Stunde nach Einnahme.17,18 Dennoch konnte jüngst gezeigt werden, dass bei sehr hoher Paracetamoldosis (40g und mehr) Kohlegabe selbst bis zu vier Stunden nach der Einnahme noch einen messbaren Effekt hatte.19

Insgesamt sollte daher bei wachen und bewusstseinsklaren Patienten mit Paracetamol-Intoxikation die Kohlegabe bei potentiell toxischer Dosis (in der Regel also bei einer Einnahme ab 150 mg/kgKG Paracetamol) innerhalb der ersten zwei Stunden erfolgen. Bei hohen Dosen hat auch eine spätere Kohlegabe Sinn. Bei Einnahme von supratherapeutischen Dosen über mehrere Tage ist die Kohlegabe in der Regel nicht sinnvoll (Ausnahme: Einnahme einer größeren Paracetamol-Dosis in den letzten zwei Stunden).

Darüber hinaus ist Paracetamol auch sehr gut dialysabel. Da die meisten Intoxikationen durch Behandlung mit ACC (s.u.) gut zu managen sind, besteht jedoch selten die Indikation zur Dialyse. Diese wird von der Extrip-Workgroup nur bei Intoxikationen mit sehr hohen Dosen empfohlen, welche dann noch vor der Leberschädigung zu einer mitochondrialen Schädigung mit Bewusstseinsstörungen und metabolischer Azidose führen.

Konkret wird die Dialyse bei Blutspiegeln über 1000 mg/l empfohlen, falls kein ACC gegeben wird, und bei Blutspiegeln über 900 mg/l mit Bewusstseinsstörungen, metabolischer Azidose und erhöhtem Laktat unabhängig von der ACC-Gabe.20

Wichtig ist, dass ACC auch dialysabel ist und bei Einsatz einer Dialyse dementsprechend etwa um 100% höher dosiert werden muss.21

Antidot: ACC-Schema

Die wichtigste therapeutische Intervention bei Paracetamol-Vergiftungen ist die Gabe von ACC.22 Dieses bewirkt eine vemehrte Glutathion-Synthese, da es das hierfür entscheidende Cystein liefert.
Weiterhin bindet es auch selber NAPQI, so dass eine toxische Wirkung von NAPQI in den Hepatozyten vermieden wird.23 Es ist dabei effektiver als die Gabe von Cysteamin und zeigt weniger Nebenwirkungen als Methionin.23

Initial wurde neben der intravenösen ACC-Gabe auch die orale Gabe in größeren Studien mit recht gutem Ergebnis untersucht,9,24 jedoch setzte sich die intravenöse Gabe aufgrund einer fraglich besseren Wirksamkeit und der besseren Praktikabilität bei Patienten mit Übelkeit und Erbrechen letztlich durch.25 Dabei wird noch heute das initial von Prescott vorgeschlagene Dosierungs-Schema verwendet:26

150 mg/kgKG ACC in 200 ml G5 % über 15(-60) min
dann 50 mg/kgKG in 500 ml G5 % über 4 h (12,5 mg/kg/h)
dann 100 mg/kg in 1000 ml G5 % über 16 h (6,25 mg/kg/h)

Dabei hat ein Therapiebeginn innerhalb von 10 Stunden nach Paracetamol-Einnahme die beste Prognose, aber auch noch bei Therapiebeginn in der hepatischen Phase mit bereits eingetretenem Leberversagen kann die Sterblichkeit der Patienten deutlich reduziert werden. In einer kleinen Studie an 50 Patienten von Keays und Kollegen überlebten 50% der Patienten, die mit ACC behandelt wurden, jedoch nur 20% der Patienten ohne ACC-Gabe.27

Die Gabe von ACC ist zwar arm an schweren Nebenwirkungen, jedoch treten bis zu 19% der Patienten anaphylaktoide Reaktionen, meist ein Flush, seltener Urtikaria und Asthma bronchiale, auf.28
Zu dieser Nebenwirkung kommt es häufiger bei Patienten mit eher niedrigen Paracetamol-Spiegeln und bei rascher Gabe der ersten Dosis über 15 Minuten anstatt über eine Stunde.28,29
Dies mag daran liegen, dass Paracetamol dies Histamin-Freisetzung aus Mastzellen durch ACC reduziert.30

Bei einem Flush reicht es in aller Regel, abzuwarten (allenfalls in Verbindung mit einer Reduktion der Infusionsgeschwindigkeit), bei Urtikaria und Asthma bronchiale steht die symptomatische Therapie mit Antihistaminika beziehungsweise Bronchodilatatoren im Vordergrund. Eine Beendigung der ACC-Therapie ist in aller Regel nicht nötig.4,10
Allerdings gibt es auch einen Fallbericht, indem ein Patient während der Gabe des ersten Beutels ACC eine Asystolie erlitten hat, weshalb Patienten während der ACC-Gabe, besonders während der Gabe des ersten Beutels, engmaschig gemonitored werden sollten.31
Über Modifikationen des ACC-Schemas, welche aktuell intensiv beforscht werden und mit weniger Nebenwirkungen einher gehen sollen, berichten wir euch im dritten Artikel über Paracetamol-Vergiftungen berichten.

Zuletzt möchten wir noch die Indikationsstellung zur Gabe und Beendigung des ACC-Schemas nach einmaliger Überdosis mit euch besprechen. Diese variiert zwischen den verschiedenen Ländern etwas, wobei die Indikationsstellung in Deutschland ähnlich der in den USA und Australien ist, während im Vereinigten Königreich deutlich früher behandelt wird und in Dänemark wohl jeder Patient mit potentieller Paracetamol-Intoxikation das ACC-Schema erhält.

Da die verschiedenen Empfehlungen zu den verschiedenen Szenarien aus den verschiedenen Ländern im Fließtext schwer zu erfassen sind, folgt ein separater Artikel mit unseren Vorschlägen zum Vorgehen bei den verschiedenen Szenarien.

Nach einmaliger Einnahme einer zu hohen Dosis von Paracetamol wird in den USA23 und Australien32 die Therapieindikation vor allem vom Serumspiegel abhängig gemacht. Dieser sollte frühestens 4 Stunden nach der Paracetamol-Einnahme abgenommen werden und das Ergebnis muss spätestens bis 8 Stunden nach der Einnahme vorhanden sein.
Liegt der Spiegel auf dem Rumack-Matthew-Normogramm im möglicherweise toxischen Bereich (z.B. über 150 mg/l nach 4 Stunden), wird eine Therapie mit ACC gestartet. Erfolgt die Vorstellung später als 8 Stunden nach der Einnahme oder liegt der Spiegel erst nach mehr als 8 Stunden nach Einnahme vor, wird in der Regel eine Therapie mit ACC gestartet und nur beendet, wenn sowohl die ALT normal ist (<2-3x Normwert) als auch der Paracetamol-Spiegel im nicht-toxischen Bereich liegt bzw. nicht nachweisbar ist. Gleiches gilt für die Vorstellung von Patienten mit der mehrfachen Einnahme einer supratherapeutischen Tagesdosis (wobei die Höhe des Spiegels hier keine Aussage über die Therapie treffen kann).
Patienten mit einem erhöhten Risiko für eine Leberschädigung aufgrund von Mangelernährung oder Malnutrition werden zumindest in den USA schon ab Serumspiegeln einer ab bei 100 mg/l statt 150 mg/l startenden Linie auf dem Normogramm behandelt.

Beendet werden kann die Therapie beiden Ländern in der Regel nach Durchführung eines vollständigen ACC-Schemas.
Bei Vorstellung später als 8 Stunden nach der Einnahme, initial erhöhter ALT oder sehr hohem initialem Spiegel (>300mg/l) wird vor Beendigung der ACC-Gabe die Kontrolle von ALT und PCM-Spiegel empfohlen. Zeigen sich diese noch auffällig, wird in Australien ein weiterer Beutel ACC über 16 Stunden gegeben oder die Dosis im letzten Beutel bereits initial auf 200mg/kgKG verdoppelt.
In den USA wird die Therapie mit ACC mit der gleichen Dosis wie der des des zuletzt verabreichten Beutels (6,25 mg ACC/kg/h) bis zur Normalisierung beider Parameter fortgeführt.23,32

Im Vereinigten Königreich werden sämtliche Patienten mit einer einmaligen Überdosierung mit ACC behandelt, wenn ihr Blutspiegel auf dem Normogramm über der bei 100 mg/l nach 4 Stunden startenden Linie liegt.12

In Deutschland orientieren sich die Empfehlungen am Standardwerk von Mühlendahl. Bei Risikopatienten (Frühgeborene, Alkoholiker, Mangelernährte) wird unterhalb einer einmaligen Einnahme von 100 mg/kgKG Paracetamol, bei allen anderen unter 150 mg/kgKG Paracetamol keine Therapie empfohlen.

Bei einer Dosis von 150 mg/kgKG bis 250 mg/kgKG erfolgt die ACC-Gabe, falls der Paracetamol-Spiegel innerhalb von 8 Stunden nach der Einnahme vorliegt und auf dem Normogramm überhalb der bei 150 mg/l 4 Stunden nach der Einnahme beginnenden Linie liegt.

Bei Vorliegen des Spiegels später als 8 Stunden nach der Einnahme oder eingenommenen Dosen  von >250 mg/kg (bzw. >100 mg/kg bei Risikopatienten) oder supratherapeutischer Dosierung erfolgt immer die Einleitungeines ACC-Schemas.
Dieses wird verlängert (150 mg/kgKG ACC in 1,5 Liter G5 % über 24 Stunden), falls das ACC-Schema >12 h nach Einnahme begonnen wurde, der initiale Spiegel >500 mg/l war, der Spiegel nach 20 h Spiegel >30 mg/l ist, oder die Leberwerte bereits erhöht sind. Im letzteren Fall wird ACC verabreicht, bis die Leberwerte deutlich fallend sind.
Bei Paracetamol-Einnahme vor über 36 h und normaler ALT (ALT <2x Normwert) sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich.4

MdCalc bietet einen Rechner zur Dosis-Berechnung des ACC-Schemas mit den zusammengefassten US-Empfehlungen und dem Normogramm kostenfrei hier [https://www.mdcalc.com/acetaminophen-overdose-nac-dosing] an.

Lebertransplantation

Kommt es zum fulminanten Leberversagen zum Beispiel bei zu spätem Therapiebeginn mit ACC, ist die Lebertransplantation die einzige Methode, um den Tod des Patienten abzuwenden. Da dies äußerst selten ist, gehen wir auf die Indikationen nicht näher ein, sondern empfehlen im Falle eines Falles die frühzeitige Rücksprache mit dem örtlichen Transplantationszentrum.

Zusammenfassung

  • Vergiftungen mit Paracetamol sind häufig und gefährlich, bei frühzeitigem Therapiebeginn mit ACC (<10h) verlaufen diese jedoch meist milde
  • Die Symptome zeigen typischerweise einen dreiphasigen Verlauf mit einer gastrointestinalen Phase mit Übelkeit und Erbrechen etwa 2-14 Stunden nach der Tabletteneinnahme, einer darauffolgenden symptomlosen Phase und der dritten, hepatischen Phase 72-96 Stunden nach Einnahme mit maximalen Leberwerterhöhungen und ggf. klinischen Zeichen des Leberversagens
  • In der Regel kommt es ab dem vierten bzw. fünften Tag zur Erholung mit Besserung der Leberwerte, nur selten entsteht hierein fulminantes Leberversagen
  • Das Risiko der Vergiftungen nach einmaliger Einnahme lässt sich zurzeit am besten mittels Paracetamol-Blutspiegel-Bestimmung frühestens 4 Stunden nach der Einnahme und Auftragen des ermittelten Spiegels auf das Rumack-Matthew-Normogramm bestimmen
  • Bei protrahierter Überdosierung (Einnahme supratherapeutischer Dosen über den Zeitraum von 24 Stunden hinaus) ist das Normogramm nicht hilfreich und es besteht ein erhöhtes Risiko. Ebenso sind eventuell alkoholabhängige Patienten und mangelernährte Patienten besonders gefährdet einen Leberschaden zu entwickeln
  • Die Therapie besteht aus der Kohlegabe innerhalb der ersten zwei (bei hohen Dosen bis zu 4 Stunden) nach der Einnahme und dem Beginn des ACC-Schemas, wenn die Indikation hierzu gegeben ist, also falls die Einnahme mehr als 8 Stunden zurückliegt, falls ein toxischer Blutspiegel vorliegt, die Leberwerte bereits erhöht sind oder eine protrahierte Vergiftung vorliegt

Das Vorgehen stichpunktartig zusammengefasst findet ihr auch als Pocket Card zum Download hier.

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Quellen

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