Quetiapin

Quetiapin ist ein atypisches Antipsychotikum, das häufig zur Behandlung von Schizophrenie, aber auch bei bipolaren Störungen und schweren Depressionen eingesetzt wird. Aufgrund seiner guten Wirkung und der geringeren Nebenwirkungen im Vergleich zu verwandten Medikamenten wie Clozapin ist Quetiapin ein häufig eingesetztes Mittel bei psychiatrischen Patienten im deutschsprachigen Raum.
Leider steigt mit der zunehmenden Verordnungsfrequenz auch die Häufigkeiten von Intoxikationen, so dass Quetiapin bei intoxikierten Patienten zu den häufig eingenommen Mitteln gehört.1 Dabei ist es häufiger als andere Antipsychotika mit schweren Symptomen wie Koma oder Atemdepression assoziiert.2

Pharmakologie

Quetiapin entfaltet eine anticholinerge Wirkung an den M1-Rezeptoren, wirkt aber auch hemmend auf alpha-1-Rezeptoren. Seine antipsychotische Wirkung wird auf eine antagonistische Wirkung an 5HT2- und (in geringerem Maße) D2-Rezeptoren zurückgeführt.3
Bei unretardierten Präparaten wird die maximale Plasmakonzentration rasch, nach etwa 1-2 Stunden erreicht. Bei Vergiftungen kann sie jedoch aufgrund der möglichen Bezoarbildung und des anticholinergen Wirkprofils, welches eine größere Latenz der Aufnahme bewirkt, verzögert auftreten.4,5
Die Elimination erfolgt vor allem hepatisch.6 Dabei beträgt die Halbwertzeit bei Intoxikationen mit erfolgter Aktivkohlegabe etwa 6,5 Stunden,7 kann jedoch auch deutlich länger sein.5

Symptomatik

Die Symptomatik der Intoxikation mit atypischen Antipsychotika wie Quetiapin ähnelt der Symptomatik der Intoxikation mit trizyklischen Antidepressiva.
Hier stehen bei Quetiapin eine Sedation unterschiedlichen Ausmaßes und die Sinustachykardie sowie QTc-Zeit-Verlängerungen als typische Beschwerden im Vordergrund, während Herzrhythmusstörungen im Gegensatz zu Intoxikationen mit trizyklischen Antidepressiva untypisch und sehr selten sind.2

Die Sinustachykardie entsteht durch die anticholinerge Wirkung an M1-Rezeptoren6 sowie die blockierende Wirkung an alpha-1-Rezeptoren8 und gehört mit einer Häufigkeit von über 55% zu den häufigsten Symptomen.2
Eine Hypotonie ist seltener, kommt aber immerhin noch bei etwa jedem fünften Patienten vor.2 Sie kann sehr selten lebensbedrohliche Ausmaße annehmen.4,9

Die Verlängerung der QTc-Zeit ist zwar ein typisches Symptom der Quetiapin-Intoxikation, hat aber nur sehr selten ernsthafte Konsequenzen, da das QT-Intervall meist normwertig ist und die QTc-Zeit durch die Bazett-Formel bei Tachykardien überkorrigiert wird.6
Schwere Herzrhythmusstörungen sind zwar denkbar, jedoch bei Intoxikationen mit atypischen Antipsychotika generell selten. Bei Quetiapin-Mono-Intoxikationen ist uns nur ein Fallbericht mit ventrikulärer Tachykardie bzw. Kammerflimmern bekannt.9 Andere Übersichtsarbeiten beschreiben keine ventrikulären Tachykardien.10
Torsaden traten insbesondere bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren und nur in sehr wenigen Fällen auch schon bei therapeutischer Dosierung auf. 11

Der schwere Verlauf vieler Quetiapin-Intoxikationen wird durch die neurologischen Beschwerden hervorgerufen. Während nur etwa 2% der Patienten mit Krampfanfällen und 5% der Patienten mit einer Atemdepression auffallen, sind immerhin 10% der Patienten komatös und fast jeder fünfte Patient benötigt zur Atemwegssicherung eine Intubation.2
Dabei können die Patienten nach Tabletteneinnahme rasch, schon innerhalb von einer Stunde, komatös werden.12 Zur Therapie reicht hier meist die Intubation und künstliche Beatmung als supportive Therapie. Sie kann im Großteil aller Fälle nach einem halben bis zwei Tagen beendet werden.4,5,12

Todesfälle nach Quetiapin-Intoxikationen sind selten und scheinen im Bereich um 3 von 1000 Intoxikationsfällen zu liegen, wobei die Patienten, soweit dies aufgrund der geringen Fallzahlen beurteilbar ist, überwiegend an Komplikationen wie einer Aspirationspneumonie versterben.2

Management

Beim Management von Vergiftungen mit Quetiapin steht die supportive Therapie im Vordergrund. Patienten mit gefährdetem oder nicht sicherem Atemweg sollten intubiert und künstlich beatmet werden, die Sinustachykardie kann in den meisten Fällen toleriert und die Hypotonie mittels IV-Volumengabe und Katecholaminen kontrolliert werden.

Da es besonders bei der retardierten Form von Quetiapin zu einer verzögerten Adsorption kommt, erscheint die Aktivkohlegabe sinnvoll und kann unter Umständen auch noch später als eine Stunde nach Ingestion erfolgsversprechend sein.7
Quetiapin-Tabletten, wieder besonders die retardierten Varianten, bilden zudem wohl in etwas mehr als der Hälfte der Fälle Pharmakobezoare, so dass vor der Aktivkohlegabe bei einer großen Tablettenmenge eine Gastroskopie zur Tablettenbergung sinnvoll erscheint.13 Pharmakobezoare konnten in dieser Fallserie schon nach der Einnahme von nur 10 Tabletten nachgewiesen werden.

Sollte es in Ausnahmefällen zu nicht beherrschbaren Hypotonien oder lebensgefährlichen Herzrhythmusstörungen kommen, wurde in Fallberichten der erfolgreiche Einsatz von 20%-Lipid-Lösung oder ECLS-Verfahren beschrieben.

Quetiapin ist zwar weniger lipophil als die meisten trizyklischen Antidepressiva, aber in etwa so lipophil wie Bupivacain, bei welchem der erfolgreiche Einsatz von Lipid Rescue schon öfter beschrieben wurde, so dass die Rationale zum Einsatz von Lipid Rescue gegeben scheint.4
Beispielhaft sei hier ein Fall aufgeführt, in welchem eine therapieresistente Hypotonie nach der Einnahme von 24 g Quetiapin mit 17 0ml 20 % Lipidlösung als Bolus und anschließender kontinuierlicher Gabe von 500 ml über eine Stunde therapiert wurde. Innerhalb von 5 Minuten nach der Gabe des Bolus stieg der systolische Blutdruck von 50 mmHg auf 75 mmHg. Der mittlere arterielle Druck konnte innerhalb einer Stunde bei Werten von 65 mmHg und mehr stabilisiert werden und die Patienten 18 Stunden nach der Bolusgabe ohne bleibende Schäden extubiert werden.4
Es existieren ebenfalls Berichte über den erfolgreichen Einsatz von Lipid Rescue bei Mischintoxikationen mit Quetiapin und Amitriptylin.14

In einem anderen Fall kam es nach einer Quetiapin-Monotinoxikation im Verlauf zu Kreislaufinstabilität und mehrfachen Episoden von ventrikulären Tachykardien und Kammerflimmern. Der Einsatz von Lipid Rescue wurde hier nicht versucht, die Patientin dafür jedoch für 48 Stunden mit ECLS-Verfahren (leider wird nicht erwähnt, welche Technik genau verwendet wurde) stabilisiert. Die Patientin konnte nach vier Tagen auf Normalstation und nach 10 Tagen ohne bleibende Schäden in die Psychiatrie verlegt werden.9

Leider sind in der Literatur Grenzdosen für die Indikation von Monitoring und Behandlung auf der Intensivstation nicht gut beschrieben. Einzig wird bei einer Einnahme von weniger als 3 g unretardiertem Quetiapin und GCS 15 vier Stunden nach der Einnahme von Balit ein Management ohne Aufnahme auf die Intensivstation vorgeschlagen, dieser Vorschlag basiert jedoch auf einer Serie von nur 19 Fällen.6

Wichtig zu wissen ist noch, dass Quetiapin in vielen Tox-Screens eine Kreuzreaktion mit trizyklischen Antidepressiva zeigt und ein falsch-positives Ergebnis für trizyklische Antidepressiva verursachen kann.15

Zusammenfassung

  • Intoxikationen mit Quetiapin sind häufig und führen vor allem zu unterschiedlich stark ausgeprägter Sedierung bis hin zum Koma sowie einer Sinustachykardie und Hypotonie, während Herzrhythmusstörungen untypisch und sehr selten sind
  • Im Vordergrund steht die symptomatische Therapie, wobei die Intubation und Beatmung bei etwas weniger als jedem fünften Patienten nötig zu sein scheint
  • Bei einer großen Tablettenmenge, ab mindestens 10 Tabletten, kann eine Magenspiegelung zur Bezoarbergung sinnvoll sein. Die Aktivkohlegabe erscheint ebenfalls in den meisten Fällen sinnvoll. Beide Maßnahmen sollten nur bei gesichertem Atemweg erfolgen.
  • Als Rescue-Strategien bei Kreislaufversagen wurden sowohl der Einsatz von 20-prozentiger Lipidemulsion als auch der Einsatz ECLS-Verfahren mit erfolgreichem Outcome beschrieben

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Quellen

  1. Müller D, Desel H. Ursachen, Diagnostik und Therapie häufiger Vergiftungen. Dtsch Arztebl Int. 2013;110:690–700.
  2. Ngo A, Ciranni M, Olson KR. Acute Quetiapine Overdose in Adults: A 5-Year Retrospective Case Series. Annals of Emergency Medicine. 2008;52(5):541-547. d
  3. Müller C, Reuter H, Dohmen C. Intoxication after Extreme Oral Overdose of Quetiapine to Attempt Suicide: Pharmacological Concerns of Side Effects. Case Rep Med. 2009;2009.
  4. Bartos M, Knudsen K. Use of intravenous lipid emulsion in the resuscitation of a patient with cardiovascular collapse after a severe overdose of quetiapine. Clinical Toxicology. 2013;51(6):501-504.
  5. Eyer F, Pfab R, Felgenhauer N, Strubel T, Saugel B, Zilker T. Clinical and analytical features of severe suicidal quetiapine overdoses – a retrospective cohort study. Clinical Toxicology. 2011;49(9):846-853.
  6. Balit CR, Isbister GK, Hackett LP, Whyte IM. Quetiapine poisoning: A case series. Annals of Emergency Medicine. 2003;42(6):751-758. doi:10.1016/S0196-0644(03)00600-0
  7. Isbister GK, Friberg LE, Hackett LP, Duffull SB. Pharmacokinetics of quetiapine in overdose and the effect of activated charcoal. Clin Pharmacol Ther. 2007;81(6):821-827.
  8. Minns AB, Clark RF. Toxicology and Overdose of Atypical Antipsychotics. The Journal of Emergency Medicine. 2012;43(5):906-913. doi:10.1016/j.jemermed.2012.03.002
  9. Lannemyr L, Knudsen K. Severe overdose of quetiapine treated successfully with extracorporeal life support. Clinical Toxicology. 2012;50(4):258-261.
  10. Tan HH, Hoppe J, Heard K. A systematic review of cardiovascular effects following atypical antipsychotic medication overdose. Am J Emerg Med. 2009;27(5):607-616.
  11. Hasnain M, Vieweg WVR, Howland RH, et al. Quetiapine, QTc interval prolongation, and torsade de pointes: a review of case reports. Ther Adv Psychopharmacol. 2014;4(3):130-138.
  12. Hustey FM. Acute quetiapine poisoning. The Journal of Emergency Medicine. 1999;17(6):995-997.
  13. Rauber-Lüthy C, Hofer KE, Bodmer M, Kullak-Ublick GA, Kupferschmidt H, Ceschi A. Gastric pharmacobezoars in quetiapine extended-release overdose: A case series. Clinical Toxicology. 2013;51(10):937-940.
  14. Otte S, Fischer B, Sayk F. Erfolgreiche „Lipidrescuetherapie“ bei Amitriptylin-Quetiapin-Mischintoxikation in mehrfach letaler Dosis. Med Klin Intensivmed Notfmed. 2018;113(4):305-308.
  15. Caravati EM, Juenke JM, Crouch BI, Anderson KT. Quetiapine Cross-Reactivity with Plasma Tricyclic Antidepressant Immunoassays. Ann Pharmacother. 2005;39(9):1446-1449.

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