Vergiftungen mit Betablockern sind nicht selten und führen immer wieder auch zu tödlichen Verläufen.1 Spannend sind Intoxikationen mit Betablockern aus toxikologischer Sicht, weil man Betablocker typischerweise aufgrund ihres negativ chronotropen, also herzfrequenzsenkenden, Effektes kennt und bei einer Vergiftung vor allem eine Bradykardie mit kardiogenem Schock als gefährlichstes Symptom erwarten würde. Tatsächlich sind die Substanzen in der Gruppe der Betablocker jedoch sehr heterolog. So können spezifische weitere Symptome wie zum Beispiel Krampfanfälle auftreten. Außerdem besteht nicht immer eine klare Dosis-Wirkungsbeziehung und es gibt interindividuell große Unterschiede in der Wirkung, was zu eher großzügigen Überwachungsindikationen führt.2
Pharmakologie
Pharmakologisch lassen sich Betablocker primär nach zwei Gesichtspunkten unterteilen: Zum einen werden Betablocker nach ihrer Lipophilie oder Hydrophilie eingeteilt, zum anderen danach, wie hoch ihre Affinität zu den verschiedenen Beta-Rezeptoren ist.
Lipophile Betablocker wie Propranolol werden vor allem hepatisch eliminiert, zeigen ein rasches Anfluten, eine gute Blut-Hirn-Schranken-Gängigkeit, eine kurze Halbwertzeit und eine hohe orale Bioverfügbarkeit mit hohem First-Pass-Effekt, jedoch auch starke interindividuelle Unterschiede in der Plasmakonzentration. Dagegen werden hydrophile Betablocker wie Bisoprolol vor allem renal eliminiert, haben eine relativ lange Halbwertzeit und zeigen weniger interindividuelle Unterschiede bezüglich der Plasmakonzentration. Dazwischen liegen Betablocker wie Metoprolol, welches Eigenschaften aus beiden Gruppen zeigt.
Betablocker hemmen kompetitiv die Beta-Adrenozeptoren und führen somit zu Hemmung der Sympathikusaktivität. Medizinisch gewünscht ist dabei vor allem die Blockade der Beta-1-Rezeptoren am Herzen, wodurch die Herzfrequenz, aber auch die Auswurfleistung des Herzens sinkt. Die Blockade von Beta-2-Rezeptoren schränkt die durch den Sympathikus aktivierte Entspannung der glatten Muskulatur im Darm, Uterus, aber vor allem auch der Gefäßmuskulatur und Bronchien ein. Außerdem haben manche Betablocker auch eine unterschiedlich ausgeprägte, meistens leicht stimulierende Wirkung auf die Beta-Rezeptoren, können also auch zu einer leichten Aktivierung dieser führen. In der Summe überwiegt jedoch in der Regel der hemmende Effekt.
Dabei binden alle Betablocker sowohl an Beta-1, als auch an Beta-2-Rezeptoren, jedoch mit einer unterschiedlich starken Affinität. Propranolol zum Beispiel ist wenig selektiv, bindet also an beide Rezeptoren mit etwa gleicher Affinität. Sein Einsatzgebiet liegt damit auch nicht in der reinen Herzfrequenz-Kontrolle, sondern in der Therapie des essenziellen Tremors oder der Hyperthyreose, also in Gebieten, wo eine möglichst breite Hemmung der Sympathikus-Wirkung erzielt werden soll. Metoprolol ist Beta-1-selektiver und bindet vor allem an Beta-1-Rezeptoren, Bisoprolol hat eine noch höhere Affinität zu Beta-1-Rezeptoren. Deshalb werden diese beiden Betablocker vornehmlich bei arterieller Hypertonie und chronischer Herzerkrankung eingesetzt.
Ein Sonderfall ist Carvedilol: Es wirkt zusätzlich im Verhältnis von etwa 10:1 nicht nur Beta- sondern auch Alpha-blockierend. Carvedilol ist dabei auch recht lipophil und der Effekt auf die Alpa-1-Rezeptoren, der zu einer peripheren Vasodilatation führt, tritt bereits nach etwa 30 Minuten ein, noch vor der maximalen Herzfrequenz-Senkung. Außerdem wird Carvedilol besonders durch CYP2D6 eliminiert, wodurch es bei Slow-Metabolisern oder entsprechender Komedikation (z.B Fluoxetin) zu deutlich erhöhten Spiegeln und einer verlängerten Halbwertzeit kommen kann.3
Die meisten Vergiftungen mit Betablockern entstehen mittlerweile durch Metoprolol und Bisoprolol, seltener sind Vergiftungen mit Propranolol und Carvedilol, während alle anderen Betablocker (z.B. das früher häufig eingesetzte Sotalol) inzwischen eine Rarität geworden sind.2
Symptome
Die häufigsten Symptome bei Intoxikationen mit Betablockern in einer retrospektiven Analyse von knapp 700 Betablocker-Mono-Intoxikationen der Giftinformationszentrale Mainz zwischen 2001 und 2011 sind Bradykardie, Hypotension, Übelkeit und Erbrechen sowie Vigilanzminderung.2 Einen AV-Block fanden die Kollegen nur bei schweren Vergiftungen mit Metoprolol und Propranolol; hochgradige AV-Blöcke III° waren hierbei eine Rarität. Die Herzfrequenz lag interessanterweise bei keiner Vergiftung unter 35 / min. Hypertonie war vor allem bei leichten Bisoprolol-Vergiftungen ein häufiges Symptom.2 Ein Bronchospasmus trat dagegen sehr selten auf.3,4
Meist entwickeln sich Symptome innerhalb von 1-2 Stunden nach Einnahme, bei retardierten Produkten ist aber ein mehrstündiges symptomfreies Intervall typisch.3 Bei unretardierten Produkten treten Symptome in der Regel spätestens nach 6 Stunden auf,5 und etwa 20-30 % der Patienten entwickeln innerhalb von 6 Stunden nach Erstvorstellung eine Verschlechterung der Symptome.2
Vor allem bei Kleinkindern kann es auch schon bei therapeutischer oder niedrig-toxischer Dosis nach Stunden zu Hypoglykämien kommen, da durch die Beta-Blockade auch die Gluconeogenese in der Leber gehemmt wird. Tückisch ist, dass aufgrund der Beta-Blockade typische Symptome wie Schwitzen, Unwohlsein und Heißhunger vermindert sein oder ganz fehlen können.3,6
Letzteres gilt übrigens auch für erwachsene Diabetiker!
Neben diesen allgemeinen Symptomen stehen bei den verschiedenen Substanzen unterschiedliche Symptome im Vordergrund, weshalb wir die Symptomatik hier nochmals Substanz-spezifisch vorstellen wollen:
Propranolol: Häufig sind vor allem bei schwerer Intoxikation ZNS-Symptome wie Somnolenz, Koma oder Krampfanfälle sowie eine zentrale Ateminsuffizienz. Dabei können Krampfanfälle als Erstsymptom der schweren Intoxikation aus dem Nichts auftreten. Parallel kommt es teils zu einer geringgradigen Bradykardie, aber starken Reduktion der kardialen Auswurfleistung. Hierdurch entwickelt sich ein kardiogener Schock. Zudem sind QRS-Verbreiterungen durch eine Natrium-Kanal-Blockade und resultierende ventrikuläre Tachykardien möglich. Hypoglykämie ist bei Erwachsenen selten, bei Kleinkindern aber ein häufigeres Symptom, dann auch mit einer Latenz von einigen Stunden.3
Auch in der Untersuchung aus der Giftzentrale Mainz kam es bei schweren Intoxikationen mit Propranolol im Verhältnis sehr häufig zu Krampfanfällen, Somnolenz und Koma. Kardiovaskuläre Symptome standen bei schweren Vergiftungen meist nicht im Vordergrund, wobei es auch hier zur Entwicklung von AV-Blöcken kam.2
Carvedilol: Die Erfahrungen mit Carvedilol-Vergiftungen sind begrenzt, da die Substanz selten eingesetzt wird. Wohl aufgrund der frühen Alpha-1-Blockade scheinen Orthostase-Beschwerden typisch.3 Müdigkeit ist jedoch das häufigste Symptom und tritt proportional viel häufiger als bei anderen Intoxikationen mit Betablockern auf, wobei ein Koma bei schweren Vergiftungen ebenfalls häufiger zu sein scheint.2
Metoprolol: Sehr übereinstimmend berichten Mühlendahl und Lauterbach, dass bei milden Vergiftungen Erbrechen, Hypotonie und Bradykardie im Vordergrund stehen, während bei schweren Vergiftungen ein Schock, seltener AV-Blöcke (fast immer nur I° oder II°) und leichte ZNS-Symptome wie Schläfrigkeit, Verwirrtheit oder Halluzinationen im Vordergrund stehen. Koma, Ateminsuffizienz und Krampfanfälle sind selten.2,3
Bisoprolol: Bei den sehr seltenen schweren Intoxikationen kommt es vor allem zu einer Sinusbradykardie mit Reduktion der kardialen Auswurfleistung.3 Bei den leichten bis mittelschweren Vergiftungen sind Bradykardie und Hypotonie, aber auch Tachykardie und Hypertonie häufig. Neurologische Symptome mit Müdigkeit werden ebenfalls häufig beobachtet.2
Risikostratifizierung
Die eingenommene Dosierung bei akzidentellen Vergiftungen von Kindern ist meistens gering und führt daher nicht zu gefährlichen Beschwerden, wobei man bei Propranolol aufgrund der hohen Toxizität sehr selten gefährliche Vergiftungen sieht.5,7
Bei Erwachsenen verläuft etwa die Hälfte der Mono-Intoxikationen asymptomatisch.2 Es können jedoch insbesondere bei Einnahme großer Mengen in suizidaler Absicht oder der dann auch häufigen gleichzeitigen Einnahme von weiteren kreislaufwirksamen Medikamenten (allen voran Calcium-Kanal-Blockern) auch schwere bis tödliche Vergiftungen auftreten. Die Mortalität bei reiner Betablocker-Intoxikation ist gering – in dieser Arbeit endeten z.B. 1,4 % aller beobachteten reinen Betablocker-Intoxikationen tödlich.5 In der Auswertung aus Mainz gab es sogar keine Todesfälle bei Monointoxikationen mit Betablockern.2 Allerdings sind die meisten Vergiftungen mit Betablockern, in der zitierten Studie zum Beispiel mehr als 75 % der Fälle, eigentlich Mischintoxikationen, und hier ist die Mortalität höher.
Generell gilt, dass Vergiftungen mit lipophileren und weniger selektiven Betablockern mit höherem membranstabilisierendem Potential, allen voran Propranolol, gefährlicher sind.3,4 Dennoch sind die interindividuellen Unterschiede in der Dosis-Wirkungsbeziehung recht groß und hängen wahrscheinlich auch mit den kardialen Vorerkrankungen zusammen.2,3 Die publizierten Daten zu toxischen Dosen sind vor allem bei Bisoprolol sehr dünn. All dies macht Vergiftungen mit Betablockern schwer einschätzbar und führt zu einer eher großzügigen Überwachungsempfehlung, auch wenn es bei den meisten Intoxikierten mit literaturgemäß „überwachungspflichtigen“ Expositionsmengen nicht zu schweren Symptomen kommt.
Es folgt dennoch unser Versuch eine an konkrete Dosen gekoppelte Risikoeinschätzung abzugeben:
Metoprolol: Vergiftungen mit Metoprolol sind in unserer Erfahrung häufig und führen besonders bei suizidalen Vergiftungen häufiger und schon bei niedrigeren „Tablettenzahlen“ zu schweren Symptomen als Vergiftungen mit Bisoprolol. Mühlendahl beschreibt die Toxizität als „mittel bis hoch“. Dabei gebe es unterhalb etwa 1 g eingenommener Stoffmenge meistens leichtere Symptome, ab 1 g sei dann eine Kreislaufinsuffizienz vereinzelt möglich, ab 2 g häufiger, ab 3 g wahrscheinlich und ab etwa 5 g müsse mit lebensgefährlichen Verläufen gerechnet werden.3 Lauterbach fand in seiner Untersuchung eine relativ stabile Dosis-Wirkungsbeziehung. Hier hatten Patienten mit leichteren Verläufen (PSS [Poison Severity Index] 1) im Schnitt etwa 25 mg/kg (oder bis zu 1,5 g) Metoprolol eingenommen, während die Patienten mit mittelschweren (PSS 2) und schweren bis lebensgefährlichen Verläufen im Mittel Dosen von um 45-50 mg/kg (oder etwa 2-3 g) eingenommen hatten.2
Diese Beobachtung deckt sich also mit den Erfahrungen von Mühlendahl.
Bisoprolol: Bisoprolol zeigt eine geringe Toxizität ohne stabile Dosis-Wirkungsbeziehung. So gibt Mühlendahl an, dass Vergiftungen mit 20-550 mg Bisoprolol überwiegend das gleiche (milde) klinische Bild bieten, und Lauterbach fand für Bisoprolol keine gute Dosis-Wirkungsbeziehung. Außerdem fand er für Bisoprolol keine einzige schwere bzw. lebensbedrohliche Mono-Intoxikationen (PSS 3).2,3
Propranolol: Propranolol hat von allen Betablockern, die momentan auf dem Markt sind, die höchste Toxizität. Am ehesten gibt es hier eine toxische Schwellendosis. Bei der Einnahme von bis zu 500 mg scheinen nur leichte Symptome aufzutreten,2 ab etwa 1 g sind schwere Vergiftungen möglich, ab 2 g treten schwere Symptome dann häufig auf.2,3 In einem dokumentierten Fall erlitt der betroffene Patient schon nach Einnahme von „nur“ 600 mg mehrere Krampfanfälle.2
Management
Die Evidenz für die Behandlung von Betablocker-Intoxikationen ist schlecht, um nicht zu sagen praktisch inexistent und in den vorhandenen Fällen eher anekdotisch. Für schwere Vergiftungen folgerte ein rezentes Review von 2020, dass eine gewisse Senkung der Sterblichkeit möglicherweise durch Katecholamine, Hoch-Dosis-Insulin-Therapie und VA-ECMOs erreicht werden kann.8 Wer genaue Daten für die Evidenz hinter einzelnen Maßnahmen sucht, sei auf dieses Review verwiesen und wird auch in einer weiteren älteren Übersichtarbeit fündig.4 Wir stellen hier die Empfehlungen der Übersicht halber nur mit der wichtigsten Evidenz dar. Dabei sollten die Maßnahmen immer anhand der Klinik und Risikoeinschätzung erfolgen. Konkrete Empfehlungen für bestimmte Dosen geben wir etwas weiter unten an.
Generell gilt, dass die letale Pathologie zumeist ein kardiales Pumpversagen ist. Bei schwerem Schock sollte das Augenmerk also auf Maßnahmen gelegt werden, die hier angreifen.
Behandlung bei Erwachsenen und schweren Vergiftungen
Zur Giftelimination wird vor allem Aktivkohle eingesetzt. Diese ist vor allem bei akzidenteller Einnahme von Betablockern und Kohlegabe innerhalb einer Stunde nach Ingestion sinnvoll. Bei Einnahme sehr großer Mengen (ab 40-60 Tabletten) kann auch eine Gastroskopie zur Bergung von Pharmakobezoaren sinnvoll sein, dies sollte im Einzelfall jedoch mit einem Giftnotruf abgesprochen werden und trifft wahrscheinlich früh bei Propranolol und Metoprolol und erst bei größeren Mengen Bisoprolol zu.
Einige Betablocker sind mittels Dialyse eliminierbar. Von den in Deutschland relevanten Medikamenten handelt es sich hierbei vor allem um Bisoprolol, während Propranolol, Carvedilol und Metoprolol nicht dialysabel sind. Wegen der deutlich besseren Clearance kann eine Dialyse besonders bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung und schwerer Bisoprolol-Intoxikation im Ausnahmefall sinnvoll sein; eine generelle Empfehlung zur Dialyse gibt es hier jedoch nicht. Schwere Bisoprolol-Monointoxikationen sind wie bereits oben erwähnt zudem eine Rarität.9
Bei der supportiven Therapie kann zunächst die Gabe von Atropin bei Bradykardie sowie Katecholaminen und Volumen (Ziel ist hier eine Euvolämie) erfolgen. Gerade bei milden bis mittelschweren Vergiftungen ist dies meist ausreichend. Wichtig ist, dass der Schock meist durch ein Auswurfversagen des Herzens entsteht, die Therapie also analog zur generellen Behandlung des kardiogenen Schocks erfolgen sollte. Ausgeprägte Volumentherapie oder hohe Noradrenalindosen können in diesem Fall also kontraproduktiv sein. Als Katecholamine bieten sich daher vor allem Adrenalin und Dobutamin an, wobei wegen der kompetitiven Hemmung der Beta-Rezeptoren typischerweise hohe Dosen nötig sein können, bis es zu einem Effekt kommt.3 Dabei sind die vorliegenden Daten zum Therapieerfolg sehr divergent: Während im Tiermodell Vasopressoren und Katecholamine alleine oft kein besseres Outcome bringen oder sogar schaden, weisen Case-Reports und Fallserien beim Menschen nicht auf einen Schaden hin.10
Der Einsatz temporärer Herzschrittmacher ist in der Literatur von sehr unterschiedlichem Erfolg gekrönt. Das liegt daran, dass diese zwar die Herzfrequenz und damit auch das Herzminutenvolumen erhöhen können, jedoch nicht die verminderte Kontraktilität des Herzens beeinflussen.
Es gibt auch noch einige spezifische Maßnahmen, die bei Betablocker-Intoxikationen vorgeschlagen werden und vor allem im Schock indiziert sind.
Die Gabe von Glucagon kann Beta-Rezeptorunabhängig zu einer Steigerung der Herzfrequenz und Kontraktionskraft des Herzens führen. Dabei ist die Datenlage hierfür eher schlecht und zeigt vor allem im Tiermodell einen Effekt,8,11,12 wobei zumindest für gesunde Probanden eine kleine Studie auch beim Menschen einen Effekt nachweisen konnte.13 Dabei stiegen unter Beta-Blockade mit Esmolol innerhalb von 15 bis 30 Minuten nach einer Gabe von 50mcg/kg Glucagon die Herzfrequenz etwa um 13 /min und systolischer sowie diastolischer Blutdruck zwischen 10 und 15 mmHg an.
Die genaue Dosierung von Glucagon bei Vergiftungen ist nicht geklärt. Meist werden 50-150 mcg/kg als Bolus empfohlen, gefolgt von einer Dauer-Infusion von 50-100 mcg/kg/h. Das führt in der Praxis zu dem Problem, dass selbst für einen leichten Patienten mit 50 kgKG bereits ein Start-Bolus von 2,5-7,5 mg benötigt wird, aber die wenigsten Krankenhäuser Glucagon in so hohen Mengen vorrätig haben.
So gut wie jedes Krankenhaus sollte jedoch über ausreichend Insulin für die Hochdosis-Insulin-Euglykämie-Therapie (HIET) verfügen. Auch diese soll Beta-Rezeptor-unabhängig zur Steigerung von Herzfrequenz und Kontraktilität führen. Die Qualität und Quantität der Daten hierfür sind ebenfalls schlecht. Im Schweinemodell zeigt sich im Trend vielleicht ein Vorteil für diese Therapie,14,15 aber gute klinische Beweise für die Wirksamkeit fehlen noch, ebenso wie Evidenz für die optimale Dosierung. In der Regel startet man die Therapie mit einem intravenösen Insulinbolus von 1 IE/kgKG und einer anschließenden Infusion von 1 IE/kg/h, die im Verlauf je nach Wirkung etwa alle 15 Minuten bis auf etwa 10 IE/kg/h gesteigert wird (und ja diese Dosen stimmen, beim 50 kg leichten Patienten heißt das 50 IE Insulin IV Bolus und dann 50 IE/h als Perfusor, den man ggf. noch bis 500 IE/h steigert!). Gleichzeitig erfolgt die Infusion von Glukose (0,5 g/kg Bolus, dann 0,5 g/kg/h, Anpassung je nach BZ-Verlauf) und zumeist Kalium unter engmaschigen BGA-Kontrollen. Nebenwirkungen sind dennoch erwartungsgemäß häufig und in etwa 30-50 % der Fälle kommt es zu Hypokaliämien und Hypoglykämien.16,17
Immer wieder wird auch der Einsatz von Lipid-Emulsion vorgeschlagen (1,5 ml/kg Bolus, dann 15 ml/kg/h bis maximale Dosis von 12,5 ml/kg erreicht). In etwa der Hälfte der Case-Reports wird dabei ein positiver Effekt berichtet, aber Tierstudien zeigen bisher nur einen leichten Trend und keine signifikanten Ergebnisse.8 Andere Studien am Menschen zeigen finden zudem auch keine ausreichenden Effekte. Zum Beispiel zeigte eine Auswertung von Daten der amerikanischen Giftinformationszentralen, dass bei 102 tödlichen Vergiftungen mit Betablockern, in denen Lipid-Infusionen als Rescue-Therapie angewandt wurden, nur 5% der Patienten einen ROSC hatten.18
Da es sich hier nur um Fälle mit am Ende tödlichem Outcome handelt, war ein geringer Effekt zu erwarten. Dass dieser jedoch so gering ausfällt, zeigt aber zumindest, dass es sich bei Lipid-Lösung nicht um ein Wundermittel handelt. Problematisch ist zudem auch, dass solche hohen Lipid-Dosen die VA-ECMO verstopfen und damit diese Rescue-Therapie unmöglich machen können.
Bei Patienten mit refraktärem Schock bleibt als letztes Mittel die VA-ECMO. Daten, die sich nur mit Betablocker-Intoxikationen beschäftigen, liegen nicht vor. In allen allgemeinen Fallserien und auch einer vergleichenden Observationsstudie zu refraktärem Schock bei Intoxikationen, in denen auch Betablocker-Intoxikationen berichtet wurden, zeigte die VA-ECMO jedoch einen positiven Effekt auf Hämodynamik und Mortalität. Eine aktuelle Übersichtarbeit empfiehlt daher den Einsatz bei refraktärem Schock im Rahmen von Vergiftungen.19
Welches Vorgehen würden wir nun zusammenfassend beim Erwachsenen vorschlagen?
- In einer Periarrestsituation würden wir mit Volumen und Katecholaminen (Adrenalin) therapieren und umgehend die VA-ECMO bahnen. Je nach voraussichtlicher „time to cannula“ kann vorher der Einsatz von Glucagon (falls verfügbar) und einer HIET erfolgen, beide brauchen jedoch etwa 15 bis 30 Minuten bis zur Wirkungsentfaltung
- Beim mild symptomatischen Patienten würden wir zunächst nur supportiv mit Volumen, ggf. Atropin und Katecholaminen behandeln. Bei hoher eingenommener Dosis sollten zudem frühzeitig Kohlegabe und Gastroskopie erwogen werden
- Zeigt sich ein zunehmend hämodynamisch instabiler Patient trotz supportiver Therapie, würden wir frühzeitig eine HIET beginnen und Glucagon geben, falls dies verfügbar ist
- Bezüglich Lipid-Infusionen sind wir etwas zurückhaltend, da diese den Einsatz einer VA-ECMO unmöglich machen können und die Daten hierzu nicht belastbar sind
- Die genauen Überwachungsindikationen sollte man immer mit einer Giftinformationszentrale besprechen. Als Orientierung geben wir hier einmal Mühlendahls Vorschläge an:3
- Metoprolol
- ≤ 450 mg: Überwachung nur bei Risikopatienten / Symptomatik
- > 450 mg: Kohlegabe und Monitoring
- ≥ 1500 mg: Kohlegabe und Monitoring auf der Intensivstation
- Bisoprolol
- ≤ 20 mg: Keine Therapie
- > 20 mg: Kohlegabe und Monitoring*
* die Monitoring-Indikation erscheint uns hier sehr großzügig gestellt
- Propranolol:
- > 320 mg: Kohlegabe und Monitor
- ≥ 1 g: Repetitive Kohlegabe (enterohepatischer Kreislauf!) und Monitoring auf Intensivstation
CAVE! Symptome können aus dem Nichts auftreten und ein Krampfanfall kann das Erstsymptom sein
- Metoprolol
Vorgehen bei akzidentieller Intoxikation bei Kindern:
In der Regel verlaufen diese Vergiftungen aufgrund der niedrigen Dosis harmlos, im Gegensatz zu Erwachsenen sind meist milde Hypoglykämien aber häufiger (auch wenn die Evidenz eher schlecht ist6), sodass man hier den Kindern eine Freude machen und einen großzügigen Süßigkeiten- oder Weihnachtsgebäck-Konsum erlauben sollte.
Zur Orientierung geben wir hier auch nochmal von Mühlendahl vorgeschlagene Dosen an, bis zu denen bei Kleinkindern (außer Vanillekipferl) keine weiteren Maßnahmen notwendig sind (bei Symptomatik natürlich Arztvorstellung):3
- Metoprolol < 100 mg: Regelmäßig Kohlenhydrate für 12 Stunden
- Bisoprolol ≤ 5 mg: Kohlenhydrate für 24h
Bisoprolol 5-10 mg: zudem häusliche Überwachung für 4 Stunden - Propranolol < 80 mg: Kohlenhydrate für 12 Stunden
Zusammenfassung
- Betablocker unterscheiden sich in ihrer Lipophilie und Selektivität
- Der Verlauf der Vergiftungen zeigt recht hohe interindividuelle Unterschiede, weshalb eher großzügig ein Monitoring empfohlen wird. Die meisten Vergiftungen verlaufen jedoch harmlos
- Besondere Vorsicht ist bei Vergiftungen mit Propranolol geboten. Dieses ist nicht nur sehr toxisch, oft sind auch zentrale Symptome (häufig Krampfanfälle, Koma) das führende Problem und treten ggf. als Erstsymptom aus dem Nichts auf
- Ebenfalls gilt besondere Vorsicht bei Mischintoxikationen (v.a. mit Ca-Kanal-Blockern), hier sind schwere Verläufe häufiger
- In ihrer Gefährlichkeit lassen sich in Deutschland regelmäßig verwendete Betablocker etwa so einstufen: Propranolol > Metoprolol > Bisoprolol
- Beim schweren Schock ist das führende Probleme selten die Bradykardie, sondern eher der kardiale Pumpkraftverlust
- Ein temporärer Herzschrittmacher zeigt oft keinen Erfolg, da er zwar die Herzfrequenz, aber nicht die myokardiale Kontraktilität steigern kann
- Im kardiogenen Schock können Glucagon und HIET eventuell helfen, Herzfrequenz und Kontraktilität zu steigern
- Beim refraktären Schock sollte frühzeitig an den Einsatz einer VA-ECMO gedacht werden
Das Vorgehen stichpunktartig zusammengefasst findet ihr auch als Pocket Card zum Download hier.
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Quellen
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3. von Mühlendahl KE. Vergiftungen Im Kindesalter. 4th ed. Georg Thieme Verlag; 2003.
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